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„Nicht zur Ehre der Armee“

Kardinal Kuharić kritisiert kroatische Menschenrechtsverletzungen. Distanz zu Tudjmans HDZ, die morgen wieder stärkste Partei werden will  ■ Von Paul Hockenos

An einem schönen Oktobersonntag nahmen 3.500 kroatische Soldaten am jährlichen Gottesdienst für die Armee am Wallfahrtsort Marija Bistrica teil, nicht weit von Zagreb. Als der Zagreber Erzbischof Kardinal Franjo Kuharić die Messe las, genossen die uniformierten Soldaten die Sonne – genauso wie sie immer noch die nationale Euphorie über die Wiedereroberung der serbisch besetzten Territorien Krajina und Westslawonien genossen. Wie ganz Kroatien hatte die mächtige katholische Kirche Kroatiens die Offensiven begrüßt. Aber die Ansprache des Kardinals an die Soldaten in Marija Bistrica fiel anders aus als der bisherige patriotische Jubel. Erstmals seit der Rückerorberung der besetzten Territorien verurteilte das Kirchenoberhaupt direkt jene Soldaten, die Plünderungen und Menschenrechtsverletzungen begangen hatten. „Diese Untaten können sicher nicht zum Ruhme der kroatischen Armee dienen. Niemand, der sie beging, kann sich als Patriot betrachten. Wir müssen all jene verurteilen, die Kroatien und die kroatische Nation mit diesen Untaten verletzen. Sie verletzen jene Soldaten, welche das ehrenwerte Prinzip der Verteidigung respektieren und Racheakte und Haß unterlassen.“

Kritiker des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman begrüßten die Worte von Kuharić, auch wenn sie, wie sie sagten, zu spät kamen. „Die katholische Kirche in Kroatien will immer auf der Seite des Siegers sein“, sagt Igor Marković, Redakteur der liberalen Wochenzeitung Arkzin. „Aber gleichzeitig will sie heute nicht als Patron des Staates oder als Apologet von Menschenrechtsverletzungen angesehen werden.“

Bis zur Messe in Marija Bistrica hatte die Kirche ebenso wie die Regierung Berichte über die Einschüchterung serbischer Bürger durch kroatisches Militär und über die Zerstörung und Plünderung serbischer Häuser geleugnet – trotz mehrerer Berichte internationaler Beobachter, daß mehr als 60 Prozent serbischer Wohnungen in der Südkrajina und 30 Prozent in der Nordkrajina teilweise oder völlig zerstört wurden. Noch Anfang September schrieb die katholische Wochenzeitung Glas Koncila: „Minderheiten müssen ihre Rechte haben. Warum kann die Weltöffentlichkeit nicht erkennen, daß die Mehrheit auch ihre Rechte haben muß? In Kroatien wurde die kroatische Mehrheit, ob unter der früheren Monarchie oder unter Tito, ihrer Rechte beraubt und zur Ausrottung verurteilt.“ Der Leitartikel fährt fort: „Kroatien hat keine ,ethnischen Säuberungen‘ durchgeführt. Fälle von ethnisch nationalem Haß, die tatsächlich vorkamen, waren weit weniger zahlreich als solche Fälle in Deutschland gegen Türken und andere Ausländer, in der Slowakei gegen Roma oder in Frankreich gegen Nordafrikaner.“

Kritiker beschuldigten die Kirche, sich zu „exzessivem Lob“ verstiegen zu haben, der einer religiösen Institution unwürdig sei. Die Kirche, so sagten sie, habe ihre kritische Distanz zum Staat aufgegeben. „Es ist zwar verständlich, daß die Kirchenhierarchie die Operationen ,Blitz‘ und ,Sturm‘ unterstützt hat“, räumt der Zagreber Philosoph und Menschenrechtsaktivist Zarko Puhovski ein. „Doch anstatt als kritische moralische Stimme zu handeln, schürte sie anfangs die nationalistische Glut, die die Regierung dazu benutzte, Menschenrechtsverletzungen zu verdecken, die von der kroatischen Armee begangen wurden.“ In einem Brief an Kardinal Kuharić schrieb die Gesellschaft für bedrohte Völker: „Sie haben, verehrter Herr Kardinal, von der Befreiung der Krajina gesprochen. Sie dürfen diesen Terminus aber so lange nicht beutzen, solange die serbische Mehrheitsbevölkerung an der Rückkehr in ihre Heimatorte gehindert wird.“

Bis zu den ersten demokratischen Wahlen 1990 hatte die Kirchenhierarchie Tudjman und seine Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) unterstützt. Doch nach den Wahlen distanzierte sie sich vom Präsidenten und seiner Partei. „Die Kirche erkannte, daß es ein Fehler war, ihr Schicksal mit der Popularität einer einzigen politischen Partei zu verknüpfen“, erklärt der Soziologe Srdjan Vrcan.

Bereits im Frühjahr 1993 war der Bruch der Kirche mit Tudjman offenkundig geworden, als sie gegen den neuen Krieg Kroatiens und der herzegowinischen Kroaten gegen die bosnische Regierungsarmee protestierte. Kuharićs Verurteilung der kroatischen Rolle im kroatisch-muslimischen Krieg half bei der Beendigung dieses Krieges, brachte jedoch zugleich die katholische Kirchenführung in Bosnien und Kroatien unter heftigen Beschuß der Nationalisten innerhalb und außerhalb der Kirche. „Sie nennen uns hier die ,muslimischen Priester‘ Bosniens“, sagt Erzbischof Pero Sudar von Sarajevo. „Doch Kuharić blieb bei seinem Standpunkt und unterstützte die territoriale Integrität Bosniens.“ So wie die bosnische katholische Kirche auf der Rückkehr aller Vertriebenen in ihre früheren Häuser in Bosnien insistierte, so ermutigte die kroatische Kirchenführung die Reintegration der einheimischen Serben in die von Kroatien zurückeroberten Gebiete Westslawoniens und der Krajina. In einer offiziellen Stellungnahme unterstrich die kroatische Bischofskonferenz, daß „jeder das Recht hat, in sein Heim zurückzukehren. Wir sind bestürzt über Berichte, daß Einzelpersonen und Gruppen das Recht selbst in die Hände nehmen, Häuser niederbrennen und auf andere Weise fremdes Eigentum beschädigen. Obgleich diese Handlungen für die meisten durch persönliche Rache motiviert sind, ist es die Pflicht der kroatischen Regierung, Personen und Eigentum auf jenen Territorien zu schützen, die kürzlich noch besetzt waren.“

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