Pillen-Warnung schürt „Epidemie der Angst“

■ Thromboserisiko bei neuer Antibabypillen-Generation ist minimal, sagt der Leiter der Studie zu Mikropillen und wirft Behörden vor, seine Daten falsch interpretiert zu haben

Potsdam/Berlin (dpa/taz) – Mit ihrer Warnung vor niedrigdosierten Antibabypillen hat die britische Arzneimittelbehörde Panikmache betrieben und eine „Epidemie der Angst“ geschürt. Das erklärt jetzt Walter Spitzer, Leiter einer der Studien, die seit der vergangenen Woche nicht nur in Großbritannien für Aufsehen sorgen. Die Behörde, die vor einem erhöhten Thromboserisiko bei gestoden- und desogestrelhaltigen Pillen warnte, habe, so Spitzer, die Daten seiner europäischen Risikostudie „falsch interpretiert“. Walter Spitzer ist Professor an der kanadischen McGill-Universität in Montreal und Leiter des Potsdamer Instituts für Pharmakoepidemiologie. Die bisherigen Ergebnisse der von Schering mit zehn Millionen Mark unterstützten Studie wiesen zwar auf einen Zusammenhang zwischen der Einnahme niedrigdosierter Pillen der neuesten Generation, die auch von der Mehrzahl der deutschen Frauen genommen werden, und einem erhöhten Risiko für venöse Thrombosen hin, räumte Spitzer ein. Das Risiko sei etwa anderthalbmal so hoch wie bei Pillen der Vorläufergeneration. Absolut gesehen sei das Risiko aber „eher als gering“ zu bewerten. Nach Spitzers Einschätzung sei mit ein bis zwei zusätzlichen Todesfällen unter 17 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter in Deutschland zu rechnen.

Die britische Arzneimittelbehörde hatte sich bei ihrer Warnung auch auf zwei weitere, bisher unveröffentlichte Untersuchungen bezogen. Die von der Weltgesundheitsbehörde und dem US-Forscher Hershel Jick aus Lexington, Massachusetts, durchgeführten Studien hätten ähnliche Ergebnisse ergeben, hieß es in London. Frauen, die die umstrittenen Kontrazeptiva einnähmen, seien im Vergleich zu Konsumentinnen anderer Mikropillen etwa doppelt so häufig von Thrombose betroffen.

Gestern beschäftigte sich auch die europäische Arzneimittelbehörde mit dem Pillen-Skandal. Von ihrem Votum wird es abhängen, ob die betroffenen Antibabypillen weiterhin in der Europäischen Union (EU) verkauft werden dürfen. Sollte die europäische Arzneimittelbehörde gestern ein EU-Verfahren eingeleitet haben, wird diese Regelung für alle Mitgliedstaaten verbindlich sein. Nur wenn die Behörde sich für nicht zuständig erklärt, muß jedes Land selbst entscheiden. „Dann werden wir auch das von uns eingeleitete Stufenplanverfahren zu Ende führen“, so Karin Günther vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinalprodukte (BfArM) in Berlin. Eine Entscheidung wird das Institut dann nach Auswertung der von den Pillenherstellern eingereichten Stellungnahmen abgeben. Wolfgang Löhr