■ Für die taz beim Spiel: Not good, not bad, but rather ugly
In dieser Saison berichten Gast-Reporter aus dem Weser-Stadion. Heute ist Holger Bruns-Kösters dran, der Ex-taz-Redakteur und jetzige Sprecher der Sozial-, Umweltundsoweiter-Senatorin Tine Wischer. Wenn es am 11.11. gegen Eintracht Frankfurt geht, dann wird der Gast in der Sport-Kombüse vom taz-Kulturdeck kommen: Der Wahl-Frankfurter und Kulturredakteur Thomas A. Wolff.
Auch ein millionenschwerer Balltreter hat, wie sollte es anders sein, so seine Träume: Einmal so richtig böse sein, wenigstens als Filmstar unbarmherzig in der Gegend herumballern und wie Django ohne Rücksicht alle Feinde erledigen. Doch spätestens seit der 29. Minute des Spiels SV Werder Bremen gegen den FC St. Pauli ist klar: Die erträumte Identität hat mit dem wahren Charakter in der Regel überhaupt nichts zu tun. Da trat Werders Möchtegern-Westernheld und Aushilfskapitän Mario Basler aus elf Metern zum Shootdown gegen St. Pauli-Rambo Klaus Thomforde an. Das Ergebnis rechtfertigt bestenfalls eine Nebenrolle in der Sendung mit der Maus. Gemächlich kullert der Ball in die Arme des Torwarts. Die 29.966 auf den Rängen sind seit Baslers „Ihr habt alle 'ne Meise-Aktion“ so diszipliniert, daß kaum einer den Mund zu spitzen wagt.
Die neue Bravheit ist ausgebrochen im Bremer Weserstadion. Der Trainer ist nett, die Spieler sind bemüht, und das Publikum äußert die Unzufriedenheit mit Werder '95 allenfalls im Zwiegespräch auf dem Nachhauseweg. Wieder nur ein Unentschieden gegen eine Mannschaft, die in der Tabelle unter Werder steht, wieder allenfalls passabel gespielt, wieder nach eine Führung das Spiel aus der Hand gegeben, und das, obwohl der Trainer wieder einmal seine Taktik lobt. „Einen Mann mehr im Mittelfeld“, hatte Aad de Mos während der 90 Minuten gesehen, doch was hilft's, solange der Cardoso heißt und so spielt, wie er das im Moment leider tut.
„Hoffentlich lassen sie ihn in Bremen auch mal einen Freistoß schießen“, hatte sein früherer Trainer Volker Finke geunkt. In den ersten Spielen für Werder machte Cardoso noch den Eindruck, als teile er diese Hoffnung. Inzwischen hält er von jedem ruhenden Ball einen gehörigen Abstand. Allenfalls mal ein gelungenes Dribbling, die Pässe oft beim Gegner, die Lücke zwischen der Viererkette und dem Angriff müssen Werders Dauerläufer Bode, Wiedener und Votava schließen. Fleißig sind die allemal, der Schuß Genialität war aber noch nie die Sache der Bremer Arbeitsbienen.
Den sollte neben Cardoso vor allem Neuverpflichtung Nummer zwei ins Spiel bringen, der Brasilianer Junior Baiano. Und schon wieder ein Mißverständis. Genial an Baiano ist vor allem, wie wunderschön ästhetisch er beim Kopfball die Unterschenkel hochklappt, ansonsten: Nach vorne bringt er ähnlich viel Impulse wie Uliii Borowka. Und dort wartet dann Neuverpflichtung Nummer drei, der brave Angelo Vier, von dem positiv einstweilen nur zu sagen ist: Falsch macht er eigentlich nichts, nur Tore schießt er auch nicht.
Hier ein Tor und da ein Tor, hier ein verschossener Elfmeter und da einer, hier ein guter Thomforde und da ein guter Rost: Mehr war eigentlich nicht im Bremer Weserstadion. Zufrieden sind im Stadion nur die 5.000 Dauersänger aus Hamburg, aber so richtig unzufrieden sind auch die inzwischen eher introvertiereten Werder-Fans nicht. Nach elf Spielen scheinen sich die Bremer ganz still damit abgefunden zu haben, daß Werder '95 genau das ist, was die Tabelle ausweist: Mittelmaß, mit zwölf Punkten Abstand zu Bayern München und sechs Punkten Vorsprung zur Abstiegszone.
Bleibt einstweilen nur ein Trost. Nachdem die St-Pauli-Kurve eine Halbzeit lang gezeigt hatte, welch wundervolle Akustik das Weser-Stadion doch hat, ging vom Stadionsprcher die Aufforderung an die Fans: „Zeigt den St-Pauli-Fans, was eine Bremer Kehle ist. Da geht nicht nur viel 'rein, da kommt auch viel 'raus.“ So eklig war's am Samstag denn doch nicht.
Holger Bruns-Kösters
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