Verzettelt

■ Ein Abend mit den postmodernen Zitatenschätzchen Mauricio Kagels bei „Dacapo“: ausgelutschte Ironie, steif interpretiert

Der 1931 in Argentinien geborene Komponist Mauricio Kagel gilt als einer der witzigsten, die gesamte produzierende und reproduzierende Musikszene infragestellenden Köpfe. Er hat stets außermusikalische Vorgänge, konkreter: technische, psychische und soziale Abläufe von Musikmachen und –hören, nicht nur zum Thema seiner Werke, sondern auch zu deren Kompositionsprinzipien erhoben. Die Visualisierung und das Hörbarmachen nicht sichtbarer und nicht hörbarer Vorgänge ist eines der zentralen Anliegen Kagels.

So unangefochten und einzigartig seine ästhetische Position bis zum Ende der siebziger Jahre war – mit dem Höhepunkt der Oper „Staatstheater“ von 1971 – , so versackte in den achtziger Jahren jedoch mehr und mehr seine originäre Kraft. Aus seiner sowieso schon aus zweiter Hand geschaffenen Musik wurde immer deutlicher „Musik über Musik über Musik“. Europäische Musikformen, asiatische Instrumente, Rezeption des Operntheaters, Bachs Johannes-Passion und Brahms Händel-Variationen, Renaissance-Instrumente: was auch immer man sich vorstellen kann, muß sich in einem riesigen Zettelkasten befinden, den der Komponist immer von neuem auswertet.

Ob Kagels Musik ihre dringend neue Nahrung, sprich: Einfälle braucht, konnte nun in einem Porträtkonzert überprüft werden, das das Hamburger Ensemble „L'Art pour l'art“ am Wochenende bei Cacapo spielte. Leider war der Eindruck zwiespältig, denn „Musik-Theatrales aus vier Jahrzehnten“ kam mit einer dicken Patina daher.

„Con Voce“ (1972) für drei stumme Spieler – geschrieben anläßlich der sowjetischen Invasion in Prag – ist nur noch mit Mühe als politisches Stück zu erkennen und schwer in eine andere Zeit übertragbar. Die „Rezitativarie für eine singende Cembalistin“ reflektiert mit Texten aus den 371 Chorälen Bachs und musikalischen Zitaten die ganze Verlogenheit frömmelnder Haltungen. Auch dieses Stück ist kaum in die neunziger Jahre zu retten. Es war allerdings hervorragend ironisch dargestellt von Beth Griffith. Das 1987/88 geschriebene „Phantasiestück“ kommt in einem zu ungebrochenen neoklassischen Gestus daher. Jedenfalls lächelte jetzt die Dame aus dem Publikum, die den Komponisten zuvor „am liebsten erschießen wollte“.

Und endlich die erst vor wenigen Tagen in Hamburg uraufgeführte „Serenade“ für Flöte, Gitarre und Schlagzeug (1994/95) bestätigte den Eindruck, daß der gesellschaftkritische Stachel, der das Werk von Kagel sicher vom Ansatz her noch immer ist, sich weitgehend kraftlos artikuliert: viel zu ausgelutscht ist die Ironie, viel zu dilettantisch die kleinen szenischen Mittel. Vielleicht müssen die MusikerInnen Astrid Schmeling, Flöte, Michael Schröder, Gitarren und Matthias Kaul, Perkussion, aber auch mit einem Regisseur arbeiten, um dieses lange Werk in einer aktuellen Brisanz rüberzukriegen. Dies gilt auch für die Wiedergabe von „Acustica“ (1968/70) für experimentelle Klangerzeuger und Lautsprecher: unverständlich, daß das lustvolle Geräuschstück mit unbeweglicher Haltung zelebriert wurde.

Aber vielleicht haben wir das alles auch gar nicht richtig gehört, denn das Reden und Lachen, das aus dem neuen Museumscafé herüberwehte, machte jeden Versuch zunichte, sich auf die Kagelsche Stille zu konzentrieren. Da muß eine neue Lösung gefunden werden. Ute Schalz-Laurenze