Der Kampf im Kiez geht weiter

Im Quartier um den Klausenerplatz erhielten die Grünen 50,8 Prozent der Stimmen. Das Ende der Sanierung und die Angst vor dem Ausverkauf beschert der alten Häuserkampf-Szene neuen Auftrieb  ■ Von Thekla Dannenberg

Die Straßen sind verkehrsberuhigt. Für Kinder gibt es einen Ziegenhof. Und wenn in dem Naturkostladen eingebrochen wird, werden nur die Registrierkasse und die Salami ohne Nitrate mitgenommen. Der alte Kiez um den Klausenerplatz scheint so grün wie der angrenzende Schloßpark. Mit 50,8 Prozent erhielten die Bündnisgrünen bei den Wahlen am 22. Oktober die absolute Mehrheit in dem zentralen Westberliner Stimmbezirk.

Der Bezirksabgeordnete von Charlottenburg, Claudio Struck, wertet den hohen Stimmenanteil seiner Partei mit erfolgsgewohnter Gelassenheit als „nicht ungewöhnlich oder erstaunlich“. Der Kiez mit seinen vielen StudentInnen, KünstlerInnen, ehemaligen HausbesetzerInnen und türkischen ImmigrantInnen sei eben eine klassische Grünenhochburg.

Doch in dem Kiez zwischen Spandauer Damm und Kaiserdamm herrscht keine etablierte Mittelschichtsidylle wie auf den anderen Seiten der Magistrale. Die gekachelten oder stuckverzierten Fassaden der prächtigen Altbauten aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Kiez rund um den Klausenerplatz eher arm und unfreundlich ist. Das Pro- Kopf-Einkommen liegt mit 1.660 rund 600 Mark unter dem Bezirksdurchschnitt, Cafés oder Restaurants sind schlecht besucht.

Dort, wo die verdrängten Handwerksbetriebe ihre Läden hatten, machen sich jetzt Billig-Ketten wie „Rudis Reste Rampe“ breit. Auch wenn der Klausenerplatz selbst mit Blumenrabatten und Rondellen üppig gestaltet ist, verkaufen sich auf dem Markt daneben Honig aus eigener Imkerei und griechische Spezialitäten gleich schlecht.

Daß sich in ihrem Kiez alternative Lebensstile etabliert hätten, glaubt auch die Reneé Zucker nicht. Von ihrem Küchentisch aus sieht die Berliner Journalistin auf den gesamten Platz und muß daher einen guten Überblick haben. „Er ist eigentlich eher kleinbürgerlich durchmischt, mit einigen individualistischen Einzelexistenzen.“

Künstliche Verbrüderung gebe es nicht und die Großstadt lasse sich hier nur erahnen. Wenn Reneé Zucker Fotos zeigt, die Heinrich Zille auf dem Klausenerplatz aufgenommen hatte, sieht man, da sich daran seit hundert Jahren nichts geändert hat.

Doch als Sanierungsgebiet hat der Kiez um den Klausenerplatz in Westberlin Stadtgeschichte geschrieben: Hier war als Pilotprojekt die behutsame „Sanierung ohne Verdrängung“ durchgesetzt worden. Die ehemals instandbesetzten Häuser sind schon lange von den BewohnerInnen übernommen worden, und die Bevölkerungsstruktur blieb zu großen Teilen erhalten.

„Der Widerstand gegen Stadtteil-Sanierung war damals die Keimzelle der Alternativen Liste“, meint Struck und glaubt, da sich das auch sobald nicht ändern wird. Denn in die alte Szene ist wieder Bewegung gekommen – zwangsweise. Nach einem Senatsbeschluß von September wird der Kiez „als Sanierungsgebiet entlassen“, und die BewohnerInnen fürchten nun den Ausverkauf der Häuser an Großinvestoren und Banken. Wieviele und welche Häuser verkauft werden sollen, hat der Senat nicht bekannt gegeben, was die Unsicherheit in dem Gebiet steigert.

Aus Furcht von dem anstehenden Ausverkauf schlossen sich viele BewohnerInnen des Kiezes zusammen: zu Mieterinitiative, Mietergenossenschaft oder Genossenschaftsinitiative, tatkräftig unterstützt von den Bündnisgrünen, die sich dabei auf sicherem Terrain bewegen.

Die Initiativen wollen vor allem ein Vorkaufsrecht für MieterInnen und sozialverträgliche Preisangebote vom Senat durchsetzen, um in Genossenschaftsmodellen die Häuser selbst aufkaufen zu können. Heidi Rabe arbeitet in einem Naturkostladen in der Neufertstraße und vor einigen Jahren hätte siesich überhaupt nicht vorstellen können, einmal Hausbesitzerin zu werden. Aber inzwischen spricht sie gewandt über Eigenkapitalanteile und rechnet überzeugend Finanzierungsvorschläge vor.

In dem genossenschaftlichen Hauskauf sieht sie „die einzige Möglichkeit, in dem Kiez Stabilität aufrechtzuerhalten“. Verträge sind schließlich berechenbar und man wisse, was auf einen zukomme. Ist Miete zahlen etwa fortschrittlich?

Auch wenn bisher ausnahmslos alle Parteien diese Pläne für unterstützenswert halten, traut Rabe eigentlich nur den Grünen zu, diese auch in ihrem Sinne durchzubringen: „Grün zu wählen ist hier eine ganz alte Sache.“ Suspekt sei bei CDU und FDP eben, daß diese immer leuchtende Augen bekämen, wenn sie das Wort „Eigentum“ hörten. Modelle, nach denen das Sozialamt für einkommensschwache BewohnerInnen den Eigenanteil übernähme, seien mit denen nicht durchzuspielen.

Der aus dem Amt scheidende SPD-Baustadtrat Claus Dyckhoff genießt dagegen tatsächlich hohe Achtung. Er unterstützt sozialverträgliche Genossenschaftsmodelle und kann auch auf die Vorlage einer Milieuschutzverordnung im Bezirksamt verweisen, die Obergrenzen bei Hausverkäufen festlegen und vor Spekulationen schützen soll. „Wir haben alles getan, was wir hätten tun können“, resümiert Dyckhoff, der sich selbst als „halben Grünen“ bezeichnet. Gewählt wurde die SPD trotzdem nicht, gegen den Bundestrend und Stammwählerschaft kommt auch ein Dyckhoff nicht an. Die Bündnisgrünen gelten am Klausenerplatz eben als die bessere Hausratsversicherung.