Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs

■ Dank eines abschließenden 1:0 gegen die Cleveland Indians gewinnen die Atlanta Braves endlich mal die World Series

Portland (taz) – Endlich. Zweimal hatten die Atlanta Braves in den 90er Jahren die World Series schon verloren und im letzten Jahr verhinderten Streik und Aussperrung den möglichen Titelgewinn. Doch nach dem 1:0-Erfolg im sechsten Spiel gegen die Cleveland Indians, der die Serie mit 4:2 für die Braves entschied, konnte CNN- und Braves-Besitzer Ted Turner endlich seine Gattin Jane Fonda in die Arme schließen. Endlich und erstmals waren die Braves den ganzen Weg zum nordamerikanischen Baseball-Titel, ganz unbescheiden Weltmeisterschaft genannt, gegangen. Für die Olympia- Stadt Atlanta bedeutet dieser Sieg sogar den ersten Titelgewinn einer beheimateten Sportorganisation in einer der großen vier Profi-Sportarten Nordamerikas überhaupt. Sowohl das Baseballteam Braves als auch die Basketballer (Hawks), die Footballspieler (Falcons) und das Eishockey-Team (Flames, bevor sie nach Calgary abgewanderten) galten in den Jahrzehnten zuvor mehr als spöttisch zu belächelnde Clowns ihrer Ligen denn als ernstzunehmende Gegner. Mit dem potthäßlichen aber ewigen Ruhm garantierenden World-Series-Ring, den sich die Spieler zu Beginn der nächsten Saison überstreifen werden, dürfte die Schmähung für's erste vergessen sein.

Dafür werden diese Endspiele als die bisher politisch unkorrektesten in die Baseball-Geschichte eingehen, weil die traditionellen Vereinswappen beider Teams sich auf die Ureinwohner Amerikas beziehen. Daß ausgerechnet der Tomahawk der Braves und die krebsrote Häuptlingskarikatur Chief Wahoo der Indians aufeinandertrafen, hatte wieder einmal Proteste der immer noch diskriminierten Indianer am Rande der World Series zur Folge.

Der sportlichen Qualität tat das allerdings keinen Abbruch. Sechs spannende Spiel hatte die diesjährige Finalserie gedauert. Sechs Spiele, von denen fünf mit nur einem run Unterschied entschieden wurden, was vor allem ein großer Verdienst der Werfer beider Mannschaften war. Schlußendlich entschied ein einziger homerun von David Justice, dem rechten outfielder der Braves, ein Spiel Sechs, das ebenso umkämpft war wie die gesamte Serie. Das abschließende 1:0 zeigte wieder einmal, daß vor allem die pitcher in den Play-Off-Spielen der entscheidende Faktor sind. Und in diesem Fall ließen vor allem die Werfer aus Atlanta die gefürchtete Offensive der Cleveland Indians zu keinem Moment der Serie zur Entfaltung kommen. Gerade Albert Belle, der in der regulären Saison 50 homeruns schlug und damit zeitweise sogar am legendären Uralt- Rekord von Babe Ruth (60) kratzte, wurde von den Werfern der Braves kaltgestellt. Gerade zweimal konnte er den Ball in die Zuschauerränge versenken.

Für die Mannschaft aus Cleveland, die zum ersten Mal seit 41 Jahren überhaupt wieder die World Series erreichte, ist die Niederlage mindestens herzzerreißend, waren sie doch während der Saison allgemein zum „best Team in Baseball“ erklärt worden. Mit dem Boom, den die Indians in dieser Saison am Eriesee ausgelöst haben, steht dem Club allerdings eine goldene Zukunft bevor. Das zwar neue, aber in der Bauweise die alten glorreichen Zeiten des Sports beschwörende Stadion war zuletzt immer ausverkauft, die Zuschauer gingen so leidenschaftlich mit wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und die Mischung aus jungen und alten Spielern scheint zu stimmen. Alles Indizien dafür, daß sich die Indians endgültig von dem Ruf, ein Gurkenteam zu sein, werden befreien können. Die diesjährige Saison war kein Zufallstreffer. 41 Jahre wird man in Cleveland nicht noch einmal warten müssen.

Als Most Valuable Player (verdienstvollster Spieler) dieser World Series wurde Atlantas pitcher Tom Glavine ausgezeichnet, der in seinen beiden Starts als Sieger hervorging. Besonders das sechste Spiel war ein Beweis der Extraklasse des Linkshänders. In acht innings ließ er gerade mal einen hit, einen erfolgreichen Schlag der Spieler aus Cleveland zu. Mit akkurat gezielten Würfen an die Außenkanten der Schlagzone und unterschiedlichen Tempi brachte er die hitter um Belle & Co immer wieder aus dem Gleichgewicht und im Verlaufe der Partie an den Rand eines kollektiven Nervenzusammenbruchs. Glavine lockte mit schmauchenden fastballs und verließ sich auf seinen im letzten Moment eindrehenden slider. Clevelands Spieler schlugen Luftlöcher, produzierten harmlose Roller im Innenfeld oder hörten den Ball gelähmt an sich vorbeizischen. Ein Kunstwerk modelliert aus 107 Würfen, in Statistiken gebündelt, für die Nachwelt einsehbar in der Baseball-Bibliothek von Cooperstown oder in der Kurzfassung in den Sonntagszeitungen. Für Glavine war dieser Sieg eine späte Genugtuung. Als eisenharter Gewerkschaftsvertreter der Spieler aus Atlanta war er von den Fans zu Anfang der Saison als Übeltäter ausgemacht und bevorzugt ausgebuht worden. Nach dem Spiel vom Samstagabend waren alle Vorhaltungen vergessen und eine Stadt lag ihrem Helden zu Füßen.

Wie lange dieser Frieden hält, weiß niemand. Denn obwohl die play offs und die Finalserie jederzeit spannende Spiele auf hohem Niveau boten, Zuschauerzahlen und Einschaltquoten zum Ende der Saison kräftig anstiegen, und somit Reputation und Ruf des amerikanischen Nationalsports gerettet scheinen, bleibt abzuwarten, ob denn ein neuer kollektiver Arbeitsvertrag zwischen Clubbesitzern und Spielern abgeschlossen werden kann. Einen neuerlichen Streik oder eine Aussperrung sind immer noch möglich. Es ist dünnes Eis, auf dem man sich bewegt. Momentan ist das Publikum zwar versöhnt, aber sollten sich die Parteien nicht während der Winterpause einigen können und einen tragbaren Kompromiß erreichen, der auch die kommende Spielzeiten sichert, dürfte ihnen das die amerikanische Öffentlichkeit nicht mehr verzeihen. Und die „National Pastime“, der nationale Zeitvertreib, die Sportart, die amerikanischer ist als Amerika, würde sich von einem neuen Streik vielleicht niemals erholen. Andreas Lampert