Mogelpackung

■ betr.: „Ethik und Pathetik“ von Jan Feddersen, taz vom 16. 10. 95

In der Debatte um das Thema Homosexualität ist die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR), immerhin die mitgliederstärkste und reichste evangelische Landeskirche der BRD, einen guten Schritt weiter als die norddeutschen Lutheraner. Auf ihrer diesjährigen Landessynode im Januar hat die EKiR einen Beschluß gefaßt, in dem unter anderem steht:

„Jeder Diskriminierung und Demütigung homosexuell lebender Menschen sollte die christliche Gemeinde entgegentreten! Die Landessynode bittet die Gemeinden, Begegnungen mit homosexuell lebenden Menschen Raum zu geben, so daß die Gemeinschaft der Verschiedenen wächst. Uns ist bewußt geworden, daß die Kirche gegenüber homosexuell lebenden Menschen im Verlauf ihrer Geschichte bis in die Gegenwart Schuld auf sich geladen hat. Statt Diskriminierung und Demütigung müssen homosexuell lebende Menschen in der christlichen Gemeinde vorbehaltlose Annahme erwarten können .... Die Landessynode fordert die Presbyterien und andere Anstellungskörperschaften auf, bei Personalentscheidungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Pfarrerinnen und Pfarrer wegen Homosexualität nicht zu benachteiligen.“

Allerdings drückte sich die Synode darum, aus dieser Grundlage nun pointierte Konsequenzen zu ziehen: Die Anstellung schwul-lesbischer PfarrerInnen sowie die Zulassung schwullesbischer Lebensgemeinschaften im Pfarrhaus wird nicht verbindlich festgeschrieben, sondern obliegt der einzelnen Gemeinde beziehungsweise Anstellungskörperschaft. Doch das Neue daran ist, daß liberale Gemeinden nun offiziell schwullesbische Partnerschaften im Pfarrhaus zulassen können, was bisher offiziell nicht möglich war. Und die erste Gemeinde hat einen solchen positiven Beschluß hinsichtlich ihres Pfarrers bereits gefaßt.

[...] Zur Segnung schwuler/lesbischer Paare wurde ausdrücklich noch kein Beschluß gefaßt, weil die Kirche sich eingestehen mußte, sich theologisch um Segen und Ehe beziehungsweise nichteheliche Lebensgemeinschaften zu lange herumgedrückt zu haben. Die evangelische Kirche wird sich eingestehen müssen, daß ihre sogenannte „Trauung“ eine Mogelpackung ist, weil es sie seit der Einführung der standesamtlichen Eheschließung 1875 nicht mehr gibt. Die meisten wissen das, drücken sich aber um die theologischen und kirchenpolitischen Konsequenzen: Denn mit der Trauung fällt auch das Primat der Ehe; davor haben viele in der Kirche traumatische Angst.

Die evangelische Kirche beginnt heute damit, sich einige theologische Lebenslügen einzugestehen. Auch das ist ein Erfolg der ganzen Diskussion um Homosexualität. [...] Ralf Jörg Raber, ev. Pastor,

Düsseldorf