Wismut

Nachrichten aus der Waffenschmiede des Sozialismus a. D.  ■ Von Gabriele Goettle

Wir sprachen mit einem freundlichen alten Herrn über Pilze und Angelegenheiten des täglichen Lebens, die Worte plätscherten so dahin, doch plötzlich – und nur, weil wir eine Nebenbemerkung über die Wismut zufällig nicht überhört hatten – stellte sich heraus, daß er Mitglied der ehemaligen Betriebsleitung war.

Offenbar inspiriert durch unsere Verwunderung und Neugier, erzählte er mit lebhafter Stimme:

„Ich bin bereits 90 ausgeschieden, aus Altersgründen, und damals, die DDR existierte ja noch, hat man auch den Entschluß gefaßt, den Uranbergbau aufzugeben. Aber es war natürlich noch gar nichts geregelt. Die BRD hat dann ohnehin per Einigungsvertrag die Anteile der DDR an der ,Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut‘ übernommen. Und durch den ,Zwei-plus-Vier- Vertrag‘ hatte sie die andere Hälfte. Die SU hat klugerweise auf ihren Anteil verzichtet, sich von allen Steuerverpflichtungen losgekauft, kann man sagen; wo hätte sie die Milliarden von D-Mark auch herholen sollen? Schließlich ist das alles auch ein Nachfolgeschaden des deutschen Faschismus. Und später dann vom Kalten Krieg, es gab ja bis 1975 diese andauernde militärische Bedrohung aus dem Westen... aber das ist ein anderes Kapitel.

Die SDAG Wismut jedenfalls entstand 1946, im Sommer. Unter dem damaligen Leiter des NKWD, Berija. Der Name Wismut diente nur zur Tarnung, Wismut ist ja ein Metall, das zu Legierungszwecken benutzt wurde, man hat es vorher in dieser Gegend abgebaut. Übrigens, das erste Uranabbaugebiet, Zwickau-Annaberg, das war Niemandsland zwischen Amerikanern und Roter Armee. Die Amerikaner haben es dann den Sowjets freiwillig überlassen. Natürlich ohne zu ahnen, daß von da ihre erste Atombombe kommen wird, daß hier die sogenannte Waffenschmiede des Sozialismus entstehen würde, sonst hätten sie das Gebiet nie abgegeben!

So entstand der drittgrößte Uranerzabbaubetrieb der Welt. An verschiedenen Standorten, verteilt über ein Gebiet von 40 Quadratkilometern bis Ostthüringen und Sachsen, wurde abgebaut, verarbeitet und aufbereitet. Die Wismut-Betriebe hatten Weltniveau für die damaligen Verhältnisse, das kann man sagen!

1949 war die erste sowjetische Bombe fertig, in Kasachstan wurde sie zur Explosion gebracht... Das klingt heute vielleicht unverständlich, wir haben sie mit Jubel begrüßt: ,Mein Arbeitsplatz, mein Kampfplatz für den Frieden‘, so war's. Sie lächeln jetzt, aber gerade vor ein paar Tagen hieß es über die Nato-Luftangriffe auf serbische Belagerer, das wären ,Bomben für den Frieden‘. Nu? Ich selbst habe 1948 bei der Wismut angefangen, unter Tage. Bin also fast so was wie ein Aktivist der ersten Stunde. Es hieß damals überall auf den Plakaten: ,Arbeiter! Höre auf den Ruf des Erzbergbaus!‘, und da bin ich hin und habe mich gemeldet. Mit mir waren es Tausende. Freiwillige, wohlgemerkt. Aber, das darf man heute ja sagen, es gab auch Zwangsrekrutierungen, also so eine Art Strafversetzung. Dunkles Kapitel ist auch die hohe Rate an Arbeitsunfällen, anfangs. Man hat aber die relativ harten Arbeitsbedingungen hingenommen, denn es gab ja auch die Schwerstarbeiterkarten, also Extrazulagen, das war besonders wichtig. Wir hatten ja nichts nach dem Krieg, und dann gab's auch noch jeden Monat das Stalin-Paket, da waren hochwertige Grundnahrungsmittel drin, davon hat die ganze Familie mitgelebt.

Die große Zeit war eigentlich von 1946 bis 1953. 1953/54, nach Einstellung der Reparationszahlungen, wurde die Wismut zur Aktiengesellschaft, jede Seite 50 Prozent, von da an hieß sie SDAG Wismut. In den Glanzzeiten waren 600.000 Werktätige beschäftigt. In den Jahren zwischen Mitte 70 und Ende 80 – bis zum Ende also – waren es nur noch so 45.000 im Schnitt. Zuletzt haben noch zehn Abbaubetriebe gearbeitet, das war der Rest, im Laufe der Jahre hat man viele geschlossen, auch an die zehn Uranaufbereitungsbetriebe. Daß der Bedarf so deutlich heruntergegangen ist, das war für uns auch ein Beweis für die friedenssichernden Ergebnisse unserer Arbeit. Das war nicht einfach nur ein riesiger Bergbaubetrieb, Wismut, das war eine ganz eigene Welt mit eigenen Regeln, kann man sagen. Das waren ja nicht nur die Gruben und weiterverarbeitenden Betriebe, sondern dazu gehörte eine Reihe von Einrichtungen, zum Beispiel der ,Wismut- Handel‘, der hatte, genau wie die HO, seine eigenen Kaufhallen. Dann gab's natürlich wismuteigene Wohnungen und ganze Wohnkomplexe. Wir hatten ein eigenes Gesundheitswesen auf sehr hohem Niveau, Krankenhäuser, Polikliniken, Sanatorien, Erholungsheime, den Feriendienst. Es gab eine wismuteigene Sozialversicherung, Feierabendheim, eigene Wismut- Berufsausbildung. Was gab's noch... ja, auf der anderen Seite das wissenschaftlich-technische Zentrum, Wismut-Maschinenbau- und Baubetriebe, es wurde ja alles selbst erzeugt, von der Kühl- oder Fördertechnik bis hin zum Bau der Schachtanlagen, und wir hatten sogar einen eigenen Berufsverkehr für unsere Werktätigen. Die Zentrale war in Karl-Marx-Stadt, draußen in Siegmar war das. Es gab eigentlich alles, natürlich auch zahllose Kulturveranstaltungen. Besonders gefördert wurde aber der Sport. Wir waren autark, nicht mal der Planungskommission unterstellt.

Damit Sie sich auch eine Vorstellung machen können, nenne ich Ihnen mal die Wismut-Betriebe... also, sehen wir, ob ich sie noch zusammenkriege: Schlema, war zugleich auch der erste, der 1946 in Betrieb genommen wurde und arbeitete bis 1990. Königstein in der Dresdner Gegend, Freital, drei Bergbaubetriebe im Gebiet Ronneburg, den Tagebau in Lichtenberg. Dann die Gruben in Renst, Beitdorf, Schmirchau, Beerwalde, Drosen... Und im Schneeberger Raum Schlema... habe ich schon genannt, Aue wäre da noch, übrigens, zwischen Hartenstein und Aue bei Niederschlema, da waren die Sohlen bis zu 1.800 Meter tief. Und dann Johanngeorgenstadt, wurde Anfang der fünfziger Jahre eingestellt, Vogtland Anfang 60, das Erzfeld Ronneburg Anfang 80. Der letzte Schacht, der gebaut wurde, ist Beerwalde bei Drosen, also in der Ronneburger Umgebung, der ist 1.000 Meter tief. Ja, und dann haben wir auch noch die übriggebliebenen Uranaufbereitungsbetriebe, der eine, die große Anlage, ist in Seelingstädt, eine andere in Königstein. Crossen ist meiner Meinung nach dicht.

Ich hab' da neulich mal eine Zahl gehört, danach haben wir in 45 Jahren eine viertel Million Tonnen Uran für die SU produziert. Jedenfalls haben sie an die 500 Atombomben getestet all die Jahre, bis das Testgelände wegfiel, denn es liegt ja in Kasachstan. Unser Problem dabei ist, aber das sieht man erst heute etwas genauer, daß wir auf einer riesigen Menge Abfall sitzengeblieben sind. 500 Millionen Tonnen werden geschätzt. Die stellen ein Problem dar heute, an dem die Rest-Wismut, die jetzige GmbH, noch genug zu nagen hat. Das andere Problem ist, daß unser Uran noch vorhanden ist, und zwar in der auseinandergebrochenen SU, in der die Gesetze der Marktwirtschaft um sich greifen... man hörte schon von Verkäufen. Da hat die BRD ja ihre Finger drin gehabt, überhaupt scheint es da ein gewisses Interesse an unserem

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Uran zu geben. Angeblich soll der Aufbereitungsbetrieb weitergehen. Ganz parallel zu den Sanierungsarbeiten betreibt man das unter dem Namen Uranentsorgung. Was noch da war an Fässern und das, was neu hinzukommt, soll wohl auf dem Weltmarkt verkauft worden sein oder noch verkauft werden, wohlgemerkt angeblich, ich kann mir das aber nicht vorstellen. Denn seh'n Se mal, die Rechnung geht nicht auf: Die Aufbereitung von einer Tonne Uran kostet die Wismut so um die 350 Mark, und die bringt auf dem Weltmarkt etwa 40 Mark. Irgendwas stimmt da nicht, aber ich sage mir, was geht mich das an, ich genieße meinen wohlverdienten Ruhestand, und ich bin Aquarianer und habe meine Mineraliensammlung, damit hab' ich genug an Beschäftigung. Nun bin ich so ins Reden gekommen wie schon lange nicht mehr. Es geht einem ja immer noch im Kopf um, auch wenn man längst draußen ist. Na, jedenfalls, wenn Sie mal in die Ronneburger Gegend wollen, fahren Sie unten rum, über Werdau und Seelingstädt.“

Was uns der freundliche Herr alles nicht erzählte, fand sich bei späterer Recherche heraus. Das Uran befindet sich nicht erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in schlechten Händen, es wurde schon vom Moment des Abbaus an unverantwortlich gehandhabt. Riesige Landstriche wurden abgeräumt, untergraben, aufgewühlt und aufgeschüttet. Um die Zerfallsprodukte des Urans hat man sich kaum gekümmert. Luft, Wasser und die Erzeugnisse der Landwirtschaft wurden kontaminiert, noch viel mehr natürlich die Lungen der Bergarbeiter. Aber Art und Höhe des Risikos unterlagen der Geheimhaltung, ja, nicht einmal ein Risiko selbst wurde den Bürgern veröffentlicht. Im Gegenteil, man führte sogar kontaminierte Erzabfälle, als sogenanntes Abprodukt und volkswirtschaftliche Reserve, wieder in den Rohstoffkreislauf ein und verarbeitete das Material im Straßen- und Wohnungsbau. Früher betrieben die Bauern auf den Abraumhalden arglos Landwirtschaft und Viehhaltung.

An die 15 Milliarden Mark hat das Bundeswirtschaftsministerium zugesagt für Sanierungsarbeiten. Bis zur Jahrtausendwende sollen sie erledigt sein. Schon die Höhe der veranschlagten Summe läßt ahnen, daß es sich hier um mehr als nur die üblichen Altlasten handelt, nämlich um eine Art Katastrophe.

60 Anlagen müssen geschlossen werden. 1.400 Kilometer Stollen sollen gesäubert, verfüllt und am Ende geflutet werden. 48 Halden müssen abgetragen oder auch abgedichtet, versiegelt und begrünt werden, um die ständige Staubbelastung zu verhindern. 14 radioaktive und mit giftigen Schwermetallen kontaminierte Schlamm-Absatzdeponien müssen entwässert, ausgebaggert, versiegelt werden. Diese teilweise bis zu 650.000 Quadratmeter großen, wasserbedeckten Flächen reichen bis zu 70 Meter in die Tiefe. Wie weit davon der ohnehin gesenkte Grundwasserspiegel entfernt liegt und wieviel versickert, ist unbekannt. In ein umfangreiches Tagebauloch bei Ronneburg, das 240 Meter tief ist, sollen Millionen von Kubikmetern Schlamm und Gestein der Abraumhalden entsorgt werden.

Bei den Sanierungsarbeiten weitere Schäden für Mensch, Tier und Pflanze zu vermeiden ist ein unlösbares Problem. Man schien das schon beim Zustandekommen des Einigungsvertrages genau gewußt zu haben. Er enthält eine Vereinbarung, die besagt, daß in den neuen Bundesländern bis auf weiteres die Strahlenschutzverordnung der DDR weiter gilt, also wesentlich höhere Grenzwerte zulässig sind. De facto bedeutet das, daß den Deutschen Ost ein schlechterer Strahlenschutz zuerkannt wurde, als den Deutschen West zusteht. De jure falle der Uranbergbau nach bundesdeutschem Recht unter das Bergbaurecht und nicht unter das Atomrecht, so die Experten. Gegen diese Rechtsauslegung und die daraus folgende Benachteiligung läuft eine Verfassungsklage.

Aber selbst wenn das Urteil den Rechtsstatus korrigiert, so ist an der Benachteiligung in der Praxis nichts gebessert. Die höhere Strahlenbelastung der betroffenen Bevölkerung ließe sich nur durch ihre Evakuierung aus dem Gebiet verhindern. Es handelt sich bei diesem Sanierungsvorhaben nämlich um den weltweit ersten Versuch, bei derart dichter Besiedlung derart offen gelagerte Strahlenquellen und Kontaminationszonen zu entsorgen. Die örtlichen Umweltgruppen müssen nicht nach Moruroa segeln zum Protest. Die bereits Erkrankten haben derweil Mühe, die Herkunft ihrer Krankheiten nachzuweisen. Rund elf Prozent der seit 1992 untersuchten 10.000 Wismut-Bergarbeiter haben Krebs. Mit jährlich mindestens 300 weiteren Krebsfällen wird gerechnet. Anspruch auf Entschädigung hat nur der, dessen Leiden als Berufskrankheit anerkannt wird. Fürs Anerkennungsverfahren spielen Arbeitsdauer und Ort eine Rolle und natürlich auch die Art der Erkrankung. Nur Lungen- und Bronchialkarzinome haben eine Chance, anderen Krebsarten unterstellt man betriebsfremde Ursachen.

Ein paar Tage nach der Begegnung mit dem freundlichen Herrn fahren wir Richtung Ronneburg und, wie empfohlen, über die kleinen Nebenstraßen. Eine Weile ist die Landschaft leicht hügelig, kleine Dörfer und abgeerntete Felder wechseln einander ab. Noch deutet nichts auf irgendwelche Beschädigung hin, doch kurz darauf biegen wir in eine größere Verbindungsstraße ein und fahren schnurgerade, Kilometer um Kilometer, auf zwei grauschwarze Pyramiden zu. Es sind die berühmten Kegelberge von Ronneburg, 120 Meter hohe Wismuthalden. Wir biegen in eine asphaltierte Straße ab und geraten auf Betriebsgebiet. Wahrscheinlich ist es aber so, daß hier alles Betriebsgebiet ist, auch die umliegenden Orte wie Kauern, Rußdorf und Reust. Dazwischen liegt eine riesige nierenförmige Tagebaugrube, in die von offenen Lkws herab alle Wismuthinterlassenschaften in die Tiefe gekippt werden.

Einer der Lastwagen hält an, der Fahrer steigt in bedrohlicher Haltung aus dem Führerhaus und brüllt: „Fotografieren ist hier verboten! Haben Sie überhaupt eine Genehmigung?“ Wir verbitten uns den Tonfall. Auf die Bemerkung hin, wir seien hier schließlich nicht mehr in der DDR, entgegnet er brüllend: „Und ob, hier ist noch immer DDR!“ Als Elisabeth Anstalten macht, ihn zu fotografieren, zieht er sich zurück und fährt weiter.

In gewissem Sinne hat der Mann natürlich recht. Man sieht und fühlt als Unbefugte, daß über all dem immer noch der Bann eines schweren und machtvollen Verwaltungsapparates liegt. Wir dringen hier in die maroden Reste eines großen Staatsgeheimnisses ein, und obwohl es eigentlich nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu verraten gibt, weil alles offenliegt, scheint es doch, als würde man Eindringlinge gern stehenden Fußes verhaften. Diese Gebiete waren vollkommen abgeschirmt und von den wismuteigenen Sicherheitsorganen überwacht. Journalisten wurde die Einreise nicht gestattet. Der Staat im Staate hatte seine Untertanen ebenso im Griff wie seinen Großgrundbesitz und seine Betriebsstätten. Herumschnüffelnde Fremde wurden sofort gemeldet.

Um uns herum erstreckt sich eine monströs durchgewühlte pulverisierte Einöde. An den Abgründen der Grube und in den aufgetürmten Halden liegt als ausgelaugtes Geröll herum, was ehedem Wiesen, Wälder, Dörfer und Felder waren. Nichts deutet mehr auf sie hin. Wir kommen an verfallenen Gebäuden vorbei und rostenden Förderanlagen. Drumherum hat sich, wie hingeflogen, ein wenig aschgrau überstaubte Vegetation ausgebreitet. Auf der Suche nach einer Straße, die uns hier hinausführt, stoßen wir glücklicherweise auf eine ehemalige Betriebstankstelle, an der nicht nur Wismutfahrzeuge, sondern auch private Kunden Treibstoff bekommen können. Der Tankwart gibt den Zapfhahn nicht aus der Hand, hält ihn mit verschlossener Miene, nimmt das Geld entgegen, als wären es verdächtige Devisen. Auf Fragen verzichten wir lieber.

Die stellen wir einem Mann, der etwas abseits an einem graublauen Barkas lehnt und raucht. Seine Hände sind ölverschmiert, offenbar war etwas zu reparieren. Auf die Frage, ob er Wismutarbeiter sei und was denn jetzt hier eigentlich gemacht würde, antwortet er ohne jede Scheu oder ablehnende Haltung:

„Hier wird nur noch saniert, und zwar von der Wismut selbst. Die im Westen drüben ham ja Angst, ansonsten wär' hier alles voll mit Westfirmen – so wie sonst überall. Ich war fast 40 Jahre unter Tage, ein halbes Jahr hat gefehlt, als es aus war. Wir haben ja unsere Abfindung gekriegt. Aber ungerecht war das schon, der, wo fünf Jahre dabei war, der hat genauso seine 30.000 Mark gekriegt wie ich, der fast 40 Jahre dabei war. Ich weiß noch genau das erste Mal, unten war's mir richtig gruselig. All die Erde über mir, aber nach einem Monat hab' ich mich daran gewöhnt. Am Anfang waren die Stollen ja nur mit Holz abgestützt und verschalt, und die waren teilweise auch eng, später wurde das dann alles modernisiert und mit Spritzbeton ausgekleidet. Also unten, so wie's zum Ende war, das müssen Sie sich so vorstellen... ungefähr wie ein Autotunnel, alles ist beleuchtet, und die Fahrzeuge fahren hin und her. Da könn' Se im Prinzip 500 bis 1.000 Kilometer spazierenfahren bis fast auf 2.000 Meter runter. Da ist ja überall uranhaltiges Erz abgebaut worden, deshalb ist das alles so modern – Uran wurde ja erst seit dem Zweiten Weltkrieg abgebaut, wissen Se, das wurde hier von uns rausgeholt und veredelt für die sowjetische Atombombe... das kann ich Ihnen heute sagen, aber zu unserer Zeit, da hat das Wort Uran kein Mensch ausgesprochen, so was gab's gar nicht! Erzabbau hieß das, ,Erz für den Frieden‘. Das wurde also hochgebracht, kam in die Mühle, wurde dort zerstampft und ich glaub' mit Schwefelsäure ausgelaugt, das Zeugs. Von zehn Tonnen hatten sie dann einen Fingerhut voll, so was. Aber der Rest war nur Abfall, der wurde in die Schlammteiche gekippt. Und dafür nu die ganze schwere Arbeit, ob das lohnt?

Na ja, jetzt ham wir den Schlamassel. Heute geht's gerade andersrum, alles wieder rein, was rausgeholt wurde. Plötzlich is' alles hochgiftig, was wir jeden Tag angefaßt haben, es soll verschwinden, wegen den Strahlen. Aber meine Meinung dazu ist, da wird viel Geld verdient und viel dumm geredet. Die Strahlung wird hochgepuscht von gewissen Leuten, es steckt auch die Kirche hinter! Ja klar, Kranke gibt's überall. Ich war x-mal zur Untersuchung, da wurde nichts festgestellt, und ich hab meine Zeiteinheiten ja... da gehn Sie mal und fragen einen mit Krebs, wie er gearbeitet hat, das ist nämlich größtenteils eine Sache der Fördertechnik... also nicht vorschriftsmäßiger Fördertechnik, fragen Sie mal nach Trockenbohrung... das haben zeitweise fast alle gemacht. Da wurde eben trocken gebohrt anstatt mit Wasser, wie vorgeschrieben. Durchs Wasser wird ja der Staub abgehalten. Aber da wurde eben die Gesteinsmasse viel schwerer und zäher von, also wurde trocken gebohrt, um mehr zu fördern. Schutz hat man auch nicht aufgesetzt bei der Hitze, da schaut dann die Staublunge und all das hinten raus, ist doch klar! Oder einmal ham sie auch nicht aufgepaßt, da gab's einen Gesteinsstau, den niemand gesehen hat, das war alles verkeilt über den Förderwagen, und es sind welche mit dem Schieber zu den Rollen reingestiegen, und mit einem Schlag ist alles runtergesaust, hat alles weggepfeffert. Die da direkt standen, war'n sofort tot. Zwei andere ham sie unter dem Geröll gefunden, die sind erst später gestorben. Die Arbeit war manchmal schon sehr hart, das ist ganz klar, und es war auch immer dieser Druck auf der ganzen Hauerbrigade, daß wir unsere Kubikmeter machen und die Prämie nicht versauen – da war'n ja dann immer gleich alle betroffen, nich' nur der einzelne. So haben dann eben alle zusammengehalten, die ganze Mannschaft. Was war'n wir manchmal fertig nach Schichtende... na ja, aber es hatte auch sein Gutes, bei der Wismut zu sein, wir hatten viermal mehr Lohn als normal, auf den Trabi ham wir acht Jahre weniger warten müssen, man hatte schöne Ferienplätze, sechs Wochen Jahresurlaub, Extraversorgung, was man wollte. Das war nicht wie heute, man hat sich wirklich gut um uns gekümmert, wir Wismutarbeiter waren eine richtige große Familie... Keiner von uns hätte sich das früher vorstellen können, daß das alles mal den Bach runtergeht... Na, vorbei is' vorbei, da beißt die Maus keinen Faden ab!

Und nu wird auf Teufel komm raus saniert. Das kommt alles weg hier, in zehn Jahren isses ein Paradies. Nur die beiden Halden in Paitzdorf drüben, da streiten sie jetzt. Die sind ja so was wie ein Wahrzeichen von Ronneburg. Und ich sag's jetzt so, wie es ist, junge Frau, seien Sie mir nicht böse, das sind und bleiben unsere Ronneburger Titten, wenn's nach uns geht! Wie es aussieht, sollen sie stehenbleiben, als Denkmal für den Wismut-Bergbau.“