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■ Positionspapier Egon Bahrs zur Linie der Berliner SPDNicht Juniorpartner – Alternative!

Mein Ausgangspunkt ist, daß die Partei den Spruch der Wähler akzeptieren muß. Sie haben ihren wachsenden Unwillen mit der Großen Koalition ausgedrückt. Beide Parteien haben verloren. Die Kanzler-Partei weniger. Eine Koalition der Verlierer ist vor den Wählern nur zu rechtfertigen, wenn ihre Notwendigkeit überzeugend begründet werden kann. Das sehe ich nicht. Große Koalitionen waren notwendig, sogar als wir die Mehrheit hatten, angesichts der Bedrohungen aus dem Osten. Aber daß nun die Bundesregierung an die Spree ziehen will, kann doch nicht als Bedrohung empfunden werden!

Die Chance der SPD liegt gerade und strategisch darin, zur Union, unserem Hauptgegner, die einzig vernünftige Alternative zu werden, die wählbare zuverlässige Mitte zu sein und zu bleiben. Das kann sie für Bürger überzeugend in der Koalition gar nicht werden; denn das ginge nur in einem dauernden Kampf, in einer permanenten Auseinandersetzung, also als Opposition in der Koalition. In den Augen der Bevölkerung würde das den Eindruck eines abstoßenden Gezerres machen. Wenn sie nur meckern wollen, sollen sie nicht reingehen. Bei einem solchen Ausgangspunkt würden vorgezogene Neuwahlen für uns verheerend sein. Wie wollen wir Profil gewinnen, wenn die Koalition insgesamt funktionieren soll und die Opposition der PDS und den Grünen überlassen bleibt? Wir sind an einen Punkt gekommen, wo wir die Rolle des Mehrheitsbeschaffers für die Union spielen sollen. Die Fortsetzung der Großen Koalition aber enthält die Wahrscheinlichkeit, daß sie das nächste Mal noch schwächer wird mit der Perspektive für uns, die 20 Prozent zu unterschreiten. Werden wir dann immer weiter für die Fortsetzung der Großen Koalition sein?

Jede Entscheidung wird Risiken bergen. Die für die Große Koalition kann die Seele der Partei, die Verantwortung für stabile Demokratie in unserem Lande berühren. Die andere mögliche Entscheidung enthält die Chance, wieder große Volkspartei zu werden mit dem Anspruch auf die Führung des Ganzen. Ich will nicht glauben, daß wir die Kraft verloren haben, diesen Kampf bergauf zu führen.

Während die Union Hauptgegner bleibt, weil wir ihr den führenden Platz in der Mitte streitig machen müssen, ist die PDS ein Gegner, der nur kleiner werden kann, wenn wir im Ostteil der Stadt wachsen. Und die Grünen sind ein Gegner, der sich von allen nährt, nicht zuletzt von uns, mit dem gedachten, noch nicht proklamierten Ziel, unentbehrliche linke Volkspartei zu werden, in meiner Sicht der einzige Gegner, der uns in überschaubarer Zeit als Partner zur Führungsverantwortung verhelfen kann.

Wenn die SPD, im Respekt vor dem Willen der Wähler, der Union die Verantwortung für den Senat zuweist, dann bedeutet das eben keine Tolerierung. Denn was wäre das für ein demokratisches Verständnis, wenn wir den Wählerwillen tolerieren? Wir würden einen Minderheitssenat auch nicht tolerieren, sondern über ihn entscheiden. Nach unseren Kriterien, überzeugend für die Bevölkerung, weil im voraus klar aus unserer Haltung abgeleitet, hätten wir in jedem einzelnen Fall zu entscheiden, ob der Senat in der Minderheit bleibt, das zu verantworten hat oder eine Zustimmung bekommt. Wenn er von den beiden anderen eine Mehrheit gewinnt, so würde selbst das noch unser Profil schärfen.

Unsere Verantwortung wäre, daß die Stadt sich darauf verlassen kann, daß wir zu unserer Haltung stehen, also z. B. der Fusion mit Brandenburg. Die Stadt könnte sich auch darauf verlassen, daß ihr das Geld nicht verweigert wird, das sie braucht. Normalerweise lehnt die Opposition prinzipiell den Haushalt der Regierung ab, weil die Regierung ohnehin eine Mehrheit hat. Eine Minderheitenregierung müßte die Zustimmung zum Haushalt unter Bedingungen erreichen können, die für die Bevölkerung überzeugend, plastisch nachvollziehbar, öffentlichkeitswirksam, politisch bedeutsam sind.

Wie halten wir es in diesem Zusammenhang mit der PDS? Die Stärke der PDS im Osten ist ein Zeichen der Schwäche der SPD im Osten. Das wollen wir umkehren. Die einfache Antwort auf die Frage nach dem Wie heißt: Jedenfalls nicht wie bisher. Wenn es inzwischen fast zur Banalität wird zu sagen, es reiche nicht, die PDS nur als Nachfolgepartei der SED zu bezeichnen, so verdanken wir das sich mehrenden Stimmen in der CDU und bei den Grünen, aber leider kaum in der SPD. Wir haben verstärkte Bemühungen der Grünen und der CDU zu erwarten, den Kanzler eingeschlossen, sich mit der stärksten Partei in Ostberlin auseinanderzusetzen, nicht um die Gysi-Truppe zu bekehren, sondern um Wähler zu gewinnen. Der Kanzler hat einmal gesagt, wenn er sich selbst frage, wie er sich verhalten hätte, wenn er in der DDR aufgewachsen wäre, empfinde er viel Verständnis für die Menschen, die ihr Leben dort leben mußten. Auf sozialdemokratisch hieße das: Wir haben viel Verständnis für die Genossen und ihre Kinder, die durch Zwangsverschmelzung Mitglieder der SED geworden sind. Auch für die, die Zeit gebraucht haben, bis sie erkannten, daß Idealismus für die Einheit der Arbeiterbewegung mißbraucht wurde. Aber auch für die Jüngeren: Es ist doch weder Verdienst noch Schuld Honeckers, wenn fünf Jahre nach der Einheit erschreckend viele Jungwähler der PDS ihre Stimme gegeben haben.

Kohl hat nach einem Gespräch mit Frau Bohley erklärt: Er werde sich immer dafür einsetzen, daß man diese Stimme hören kann. Das finde ich erstens auch, zweitens selbstverständlich. Er hat nicht gesagt, daß er dieser Stimme folgen oder sie zum Maßstab nehmen wird, wenn er sich um ehemalige SED-Mitglieder bemüht. Dabei braucht er keine Angst zu haben, wir würden ihm jammernd vorwerfen, wer Demokrat ist, bestimme die Union, solange bei uns die Angst vor dem Vorwurf der Kommunistennähe noch wirkt. Auf der Ebene der sachlichen Kommunalpolitik hat die Union in Westdeutschland keine Schwierigkeiten gesehen, mit den Grünen zusammenzuwirken und gleichzeitig die rot-grüne Gefahr auszumalen. Auf der kommunalen Ebene der Bezirke wird sie auch nicht zimperlich sein, aber auf unsere Zimperlichkeit hoffen. Wir werden der Union das Geschäft erleichtern, diese Menschen in die verzeihenden Arme christlich-demokratischer Nächstenliebe aufzunehmen, wenn wir lange genug mit der Definition unseres Standpunktes gegenüber der PDS, den Wählern der PDS und den ehemaligen Mitgliedern der SED warten. Einen besonderen Stellenwert verdient dabei die alarmierende Zahl junger Menschen, die der PDS ihre Stimme gegeben haben. Aber diese dringende Aufgabe ist zu lösen, ganz gleich, ob wir die Große Koalition fortsetzen oder in die Opposition gehen. Egon Bahr

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