Das Portrait
: Aufrechter Anwalt

■ Heinrich Hannover

Ein streitbarer Jurist, ein kritischer Historiker der Rechtsgeschichte und ein Jugendbuchautor wird heute 70 Jahre alt. Am wichtigsten jedoch ist der Rechtsanwalt Heinrich Hannover.

Hannover stammt aus der Generation, die noch durch die Hitlerjugend geprägt worden war; doch er hat den demokratischen Neuanfang als Chance begriffen. Als Anwalt, der sich als demokratischer Sozialist versteht, hat er seit 1954 die Schattenseiten der Bundesrepublik nicht nur aus nächster Nähe kennengelernt, sondern vielfach auch am eigenen Leib erfahren. Hannover hat Kommunisten vertreten – und damit in Kauf genommen, wie ein Kommunist behandelt zu werden. Er hat in Stammheim verteidigt – und mußte erfahren, daß er damit für die Bundesanwaltschaft zum Feind wurde. Er hat versucht, NS-Verbrechen vor Gericht zu bringen (so den Mord an dem KPD-Führer Ernst Thälmann in Buchenwald) – und konnte nicht verhindern, daß Mord ungesühnt blieb.

Heinrich Hannover gehört zu den großen Verteidigern in politischen Strafsachen der Nachkriegszeit. Als Verteidiger von Ulrike Meinhof hat er darauf bestanden, seine Unabhängigkeit als Anwalt zu wahren, bis die Inhaftierte ihm das Mandat entzog. Als Verteidiger von Karl-Heinz Roth hat er vielen jungen Anwälten Mut gemacht und gezeigt, daß es trotz der Schieflage in der „Waffengleichheit“ vor Gericht einem Anwalt gelingen kann, einen Freispruch zu erreichen.

Rechtsanwalt Heinrich Hannover Foto: Katja Heddinger

Auch als Schriftsteller hat Heinrich Hannover zum Entstehen einer neuen, kritischen Juristengeneration beigetragen. Das gilt insbesondere für die beiden Bücher über „Politische Justiz 1918–1933“ und den „Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht“. Hinweisen will ich noch auf das heute verschollene Büchlein „Politische Diffamierung der Opposition“ (1962). Die Begriffe, die Hannover damals prägte – und Gustav Heinemann durch ein Vorwort abzusichern suchte –, verraten viel über diese, heute meist verdrängte, Zeit: Wer die Berührung mit Kommunisten nicht scheute, den traf der Vorwurf der „Kontaktschuld“. Wurde ein Argument gebraucht, das bei Kommunisten auch auftauchte, so hieß das „Konsensschuld“; wenn Opposition damit nicht mundtot zu machen war, sagte man: „Ihr nützt den Kommunisten.“ Den aufrechten Gang von Heinrich Hannover hat das nicht gekrümmt. Jürgen Seifert