■ Wahlausschluß auch für das liberale „Jabloko“-Bündnis
: Die Regel und die Ausnahmen

Düstere Phantasien begleiten wieder mal die letzten Meldungen aus dem östlichen Imperium. Der Präsident ist schwer erkrankt, angeblich regierungsunfähig. Kurz darauf versetzt die zentrale Wahlkommission der jungen, anfälligen Demokratie einen heftigen Stoß, indem sie den aussichtsreichsten Kandidaten des liberalen Spektrums aus formalen Gründen nicht zu den Dumawahlen zuläßt. Im Lande selbst gerät eine Protestlawine in Bewegung. Selbst Premierminister Tschernomyrdin enthielt sich nicht des Urteils. Und wie so häufig, Verschwörungstheorien schießen aus dem Boden.

In einem Land, das mit dem Recht über Jahrhunderte willkürlich verfuhr, in dem die Individuen erst an die Macht, dann an eine mit ihr verknüpfte imaginäre oder personifizierte „Gerechtigkeit“, aber nie an den Buchstaben des Gesetzes glaubten, ist es erfreulich, wenn eine Wahlkommission sich an das I-Tüpfelchen des Gesetzes hält. Daß es in diesem Fall einen erbitterten Gegner Jelzins, Rutskoi, sowie einen in der Person Jawlinskis auch bei den Präsidentschaftswahlen aussichtsreichen liberalen Herausforderer trifft, nährt selbstverständlich Spekulationen. Doch das ändert nichts an der formalen Richtigkeit der Entscheidung und entspricht der Rechtsstaatlichkeit.

Selbst wenn andere Motive die Kommission bewegt hätten, entbindet das die Parteien nicht, die Spielregeln zu achten. Auf keinen Fall jene wie „Jabloko“, die den Rechtsstaat auf ihre Fahnen schreiben. Wir begegnen einem weitverbreiteten Phänomen. Die Selbstherrlichkeit der politischen Führung macht vor der Demokratie nicht halt. Das Bekenntnis zu ihr wird mit dem Recht auf Regelverletzung gleichgesetzt. Das entspricht Traditionen der russischen Geschichte und öffnete stets der Willkür Tür und Tor. Gleichzeitig belegt es die Schludrigkeit, gewöhnlich eine Quelle ständiger Verletzungen von Bürgerrechten seitens einer omnipotenten Bürokratie. Selbstverständlich steht heute mehr auf dem Spiel: eine glaubwürdige demokratische Wahl. Verhältnismäßigkeit als Prinzip ist gefordert, das wird wohl nun nachgereicht. Es muß allerdings überraschen, daß keine demokratische Kraft die Entscheidung auf Grund ihrer Korrektheit erst einmal würdigte und dann auf die gefährlichen Implikationen verwies. Selbst Tschernomyrdin fürchtete wohl, als Kommunist denunziert zu werden. Das gibt mehr zu denken, als der Spruch der Wahlkommission. Klaus-Helge Donath