■ Zur Kritik der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“
: Ein Technokratenmärchen

Die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland, ein Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung“ wurde vom „Wuppertaler Instituts für Klima, Energie und Umwelt GmbH“ am 23.Oktober vorgestellt. Sie geht von der ökologischen Problematik des rasanten Ressourcenverbrauchs und der kritischen Belastungsgrenzen von Ökosystemen aus. Sie entwickelt Reduktionsszenarien, die durch eine Senkung des Verbrauchs und der effizienteren Nutzung von Material und Energie verwirklicht werden sollen. Um diese Ziele zu erreichen, werden ökonomische, soziale und politische Veränderungen entworfen, die durch sogenannte Leitbilder und realpolitische Maßnahmenkataloge umgesetzt werden sollen.

Ein anspruchsvolles Programm. Der Beifall bei der Präsentation war eindrucksvoll, nur ein paar Vertreter des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) meldeten sich zu Wort – ungefragt und kritisch. Der Kern unserer Kritik an der Studie bezieht sich nicht auf Details der Szenarien (wo sehr viele sinnvolle Dinge neben kritikwürdigen stehen), sondern auf die Herangehensweise des „Wuppertaler Instituts“, die jede Auseinandersetzung mit den Ursachen und Bedingungen unserer gegenwärtigen Wirtschafts- und Lebensweise vermissen läßt. In der Studie heißt es lapidar: „Die Ökologisierung der Marktwirtschaft schließt zwei Dimensionen ein: die Domestikation marktwirtschaftlicher Mechanismen und ihre ökologisch zuträgliche Entfaltung.“

Alle sind irgendwie besorgt. So kann es nicht weitergehen. Also können auch alle irgendwas beitragen, damit es weitergehen kann. Die UnternehmerIn, der/die Arbeitslose, die BürgerIn und so weiter. Dies macht solche Konzepte sehr attraktiv, besonders für kritische Leute, die den Niedergang der sozialen Bewegungen miterfahren haben. Die Frage nach Interessen, Besitzverhältnissen, Herrschaftsverhältnissen ist tabu. Historisch gewachsene Strukturen, ökonomische Dynamiken, organisierte Unterdrückung sind der Studie fremd. Den Erfahrungsschatz jahrzehntelangen Widerstands scheint es nicht zu geben.

Warum hat „unsere Marktwirtschaft“ überhaupt die ökosoziale Krise hervorgerufen und verschärft sie gegenwärtig auch noch? Wenn ökologische Schutzziele erreichbar sind, warum wurden sie dann bisher nicht umgesetzt? Fragen über Fragen, die bewußt nicht gestellt werden, weil niemandem wehgetan werden soll, vor allem nicht dem „Hauptbündnispartner“ – der „Gewinnerindustrie“. Euphorisch heißt es in der Studie: „Man ist endlich in der Offensive und vor allem: man findet Verbündete, die sogenannten Gewinnerindustrien, denen das Einschwenken auf einen ökologisch orientierten Pfad gut ins betriebswirtschaftliche Kalül paßt.“ Jede/ jeder soll sich und seine/ihre Interessen in diesem Konzept wiederfinden. Die Verhältnisse sind keine Machtfragen zwischen verschiedenen Interessen, sondern Fragen der Einsicht und des guten Willen.

Demzufolge sind auch die vorgeschlagenen gesellschaftlichen Mittel zur Veränderung untauglich:

– Eine nationalstaatlich geplante, ökologische und soziale Marktwirtschaft („Domestizierung und Nutzung der Marktkräfte“) ist eine Fata Morgana. Die aus Zeiten der fordistischen Akkumulation stammenden Regulierungseingriffe werden nach und nach abgebaut. Die „Musik“ wird im weltmarktorientierten Wirtschaftssektor gemacht, die größten Renditen durch Spekulationsgeschäfte mit dem international vagabundierenden Finanzkapital eingefahren. Diese Vorgänge sind nicht domestizierbar, schon gar nicht nationalstaatlich. Der kapitalistische Unternehmer wäre ein Selbstmörder, würde er nicht versuchen, soviel wie möglich Kosten zu externalisieren. Außerdem ist der kapitalistische Staat kein Neutrum, quasi Schiedsrichter im Kampf der Interessen, sondern immer Knecht der ökonomischen Sachzwänge.

– Die Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse von Ländern des Nordens über Länder des Südens werden demzufolge nicht in ihrer Substanz kritisiert, geschweige denn angegriffen. Dies kollidiert natürlich mit dem Anspruch der Studie nach globaler Gerechtigkeit. Kolonialistisch geprägte Strukturen, die Mechanismen der Verschuldungsfalle, die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank im Interesse des Nordens, ungleicher Tausch auf dem Weltmarkt und so weiter werden nicht nur nicht berücksichtigt, sondern werden weiter vertieft: teilweiser Schuldenerlaß gegen Bedingungen, Verkauf von Verschmutzungsrechten, Ökoführerschaft des Nordens über Know- how und Technologien, Markteintrittsbarrieren für Zu-spät-gekommene und so weiter. Übrig bleibt lediglich ein Paternalismus, der, moralisch eingefordert, Selbsthilfeprojekte über die „Entwicklungszusammenarbeit“ unterstützen soll.

– Die Empfehlungen des „Wuppertaler Instituts“ zur Sozialpolitik mögen gut gemeint sein, sind aber ohne Änderung der Herrschaftsverhältnisse mit neoliberalen Positionen problemlos zu vereinbaren: Ein Hochtechnologiesektor mit Hochlohnsektor für die Industrie und als Kehrseite die Schaffung eines Niedriglohnsektors („Zweiter Arbeitsmarkt“) mit flexiblen Löhnen und Arbeitszeiten sowie reduzierten Lohnnebenkosten. In den Großstädten der USA sind diese deregulierten Zonen zu besichtigen. In welchem dieser beiden Arbeitsmärkte verorten sich wohl die Wuppertaler wissenschaftlichen Nachwuchskoryphäen?

– Die Studie setzt – wie gesagt – nicht bei der Veränderung der Produktionsweise an, sondern vielmehr bei den Gewohnheiten der EndverbraucherInnen. Ein gewisser Nachdruck wird dem durch verschiedene Taschenspielertricks bei der Zuordnung des Verbrauchs zu sogenannten Bedarfsfeldern (Wohnen, Freizeit, Ernährung) verliehen. Sektoren wie Rüstungsproduktion, Exportgüterindustrie werden weggezaubert oder einfach auf die EndverbraucherInnen umgelegt. Warum was für wen produziert wird, spielt offensichtlich keine Rolle. Auch aus dem Nettoverbrauch an Ressourcen wird der profitintensive Exportsektor herausgerechnet (BRD-Nettoverbrauch = Ressourcenverbrauch + Importe – Exporte). Das heißt im Klartext: Wenn die BRD Rüstungsgüter exportiert, darf sie nach diesem Modell all den Stahl, die Energie, die strategischen Rohstoffe als entlastende Negativ-Posten buchen. Auch die Stoff- und Energiemengen, die allein zur Produktion von High-Tech-Waren für den Weltmarkt bewegt werden, entlasten das BRD-Ressourcenkonto, und dafür dürfen dann noch mehr Rohstoffe importiert werden.

Die Gefahr der Studie liegt darin, daß einzelne Vorschläge, die den herrschenden Interessen bei der Effektivierung der Profitproduktion in den Kram passen, umgesetzt werden, der Rest aber gänzlich hinten runterfällt.

Auch wir haben keine Patentrezepte zur dringend notwendigen Gesellschaftsveränderung, auch wir suchen die Diskussion, zum Beispiel auf dem nächstem Jahreskongreß des BUKO im Mai 96, der den Schwerpunkt „nachhaltige Entwicklung, nachhaltige Herrschaft“ hat. Die „Wuppertaler Studie“ ist als Grundlage solch einer Diskussion allerdings gänzlich ungeeignet. Ralf Berger