Kein Erdrutschsieg für Tudjman

■ Partei des kroatischen Präsidenten erreicht 44 Prozent, verfehlt aber ihr Wahlziel. SPD spricht von Wahlbetrug

Zagreb/Sarajevo (AFP/AP) – Die rechtsnationalistische Regierungspartei von Präsident Franjo Tudjman hat die vorgezogenen Parlamentswahlen in Kroatien am Sonntag klar gewonnen, die angestrebte Zweidrittelmehrheit aber offenbar verpaßt. Wie die Wahlkommission in Zagreb mitteilte, erreichte die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) nach Auszählung von zwei Dritteln der Stimmen gut 44,2 Prozent der Stimmen bei den Parteilisten, über die 80 der 127 Mandate vergeben werden. Tudjman sprach von einem „überzeugenden“ Sieg.

Den Teilergebnissen zufolge kam das oppositionelle Wahlbündnis unter Führung der Bauernpartei (HSS) auf 18,6 Prozent. Die bisher größte Oppositionspartei, die Sozialliberale Partei (HSLS), lag bei knapp 12 Prozent, die exkommunistische Sozialdemokratische Partei (SDP) bei 9,1 Prozent. Die rechtsextreme Partei der Rechte (HSP) scheiterte an der Fünfprozentklausel.

Eine Sensation bahnte sich in Zagreb an, wo die Opposition nach einem entschiedenen Wahlkampf gegen die HDZ und ihre Korruptionsaffären vermutlich drei der vier Direktmandate gewinnen konnte. Über die Wahlbeteiligung, die am Sonntag auf knapp 50,2 Prozent geschätzt wurde, gab es gestern zunächst keine Angaben. Mit der Bekanntgabe der Sitzverteilung wird wegen des komplizierten Auszählungsverfahrens erst für Freitag gerechnet. Verteidigungsminister Gojko Susak sagte, er rechne fest mit einer Zweidrittelmehrheit der HDZ im Parlament, die für Verfassungsänderungen nötig ist. Dies wurde von Beobachtern in Zagreb aber für unwahrscheinlich gehalten.

Die Opposition hatte die Wahlen bereits im Vorfeld heftig kritisiert. Sie rügte vor allem die Bevorzugung der HDZ durch die Medien im Wahlkampf, die Verminderung der Parlamentssitze für die serbische Minderheit von 13 auf 3 und das Wahlrecht für 400.000 im Ausland lebende Kroaten, deren Stimmabgabe zugunsten der HDZ aufgrund ihrer nationalistischen Haltung als sicher galt. Die meisten der 400.000 Auslandskroaten leben in Bosnien-Herzegowina und werden von Sarajevo als bosnische Staatsbürger angesehen. Die 109 Wahlbeobachter aus 38 Staaten schlossen sich der Kritik der Opposition an. Ein US-Beobachter sprach von chaotischen Verhältnissen, Unregelmäßigkeiten wie etwa doppelte Stimmabgaben wollte er nicht ausschließen.

Die Bonner Opposition äußerte scharfe Kritik am Wahlverlauf und an der Politik Tudjmans. Der Bosnien-Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Freimut Duve, warf Tudjman wegen der Beteiligung bosnischer Kroaten am Urnengang „Wahlbetrug“ vor. Die aus der Krajina geflohenen Serben seien zudem faktisch ihres Wahlrechts beraubt worden. Der bekannte Nazi-Verfolger Simon Wiesenthal äußerte sich besorgt über die Zukunft der etwa 1.200 in Kroatien lebenden Juden.

Die UN berichteten gestern in Sarajevo, das von den Karadžić-Serben gehaltene Banja Luka im Nordwesten des Landes versinke in Chaos, Anarchie und Terror. Die Polizei habe die dort noch lebenden Muslime zu Freiwild erklärt. Eine Reihe von Muslimen und Kroaten, die sich noch in das UNHCR-Büro in Banja Luka wagen, werden nach Angaben des UNHCR auf der Straße zusammengeschlagen. Die Karadžić-Serben hatten in den vergangenen Wochen Tausende von Muslimen und Kroaten aus Banja Luka vertrieben, allerdings die wehrfähigen Männer zurückgehalten. Ihr Schicksal ist unbekannt. Es kursiert die Befürchtung, es habe Massenmorde gegeben. Seiten 8 und 10