Erinnerung an die Zukunft

■ Was die neue Debatte ums Staatsbürgerrecht wert ist

Wer einen Schwerverletzten auf der Straße liegen läßt, um ihn nach Stunden der Untätigkeit mit einem Pflaster zu reanimieren, hat wenig Aussicht auf einen Orden als barmherziger Samariter. Man muß wahrscheinlich Politiker sein, um sich für solcherlei Hilfsdienste auch noch auf die eigene Schulter zu klopfen: Seit Jahren versprechen die Bonner Parteien den nichtdeutschen Inländern eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Erleichterte Einbürgerung – das war das verbale Trostpflaster, wenn mal wieder gezündelt wurde in Deutschland. Abkehr vom Denken in nationalistischen Blutsbanden, das sollte auch das Bonbon sein, mit dem die Sozialdemokraten ihre Zustimmung zum Asylkompromiß versüßen wollten. Die bittere Arznei wurde verabreicht, auf die süße Entschädigung warten die Migranten bis heute. Für die Reform des Einbürgerungsrechts gilt: „Nichtbefassung – Wiedervorlage nur, wenn sich zufällig jemand erinnert.“ Jetzt erinnert man sich wieder: CDU, FDP und SPD warten mit diversen Vorschlägen auf. Doch damit ist die Debatte noch nicht in Bewegung geraten. Man besinnt sich gerade mal, daß man noch Gehwerkzeuge hat. Und dafür soll man schon dankbar sein?

Tatsächlich steht die Reform des Staatsbürgerrechts dort, wo sie schon vor zwei Jahren verharrte. Über eine Bundesratsinitiative wollen die SPD- regierten Länder die Regierungskoalition nun zu Reformen drängen. Nur zu! Aber wie soll eine Regierung vor einem Paukenschlag zittern, der längst angedroht war und in tatenloser Stille verhallte? Vor zwei Jahren haben die Sozialdemokraten die Chance gehabt, sich ihre Zustimmung zum Asylkompromiß mit harten Zugeständnissen belohnen zu lassen. Und sie haben die Chance vertan. Die SPD hat vage Versprechungen eingetauscht, von denen bisher keine ernsthaft eingeklagt wurde: Die Reform des Einbürgerungsrechts ist ausgeblieben, der zugesagte Sonderstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge immer noch nicht durchgesetzt, und ein Einwanderungsgesetz, das damals zum sozialdemokratischen Essential erklärt wurde, ist nicht in Sicht. Bei den Verhandlungen um den Asylkompromiß wollten sich selbst Teile der CDU einem solchen Gesetz mit festgelegten Zuwanderungsquoten nicht verschließen. Heute weiß die SPD nicht einmal mehr, ob sie ein solches Gesetz noch will. Und das ist das eigentlich Beklemmende an der bundesdeutschen Ausländerpolitik: Jeder Rückblick in die Vergangenheit gleicht schon einer Erinnerung an die Zukunft. Vera Gaserow