Nehmt euch das Signal!

■ Medien-Pirat Geert Lovink ist als Leiter von „Interface 3“ eine echte Überraschung

Es könnte alles ein großer Irrtum sein, ein Mißverständnis der Verantwortlichen in der veranstaltenden Kulturbehörde, ein Informationsschluckauf: Mit Geert Lovink steht dem akademischen Symposion über Neue Medien Interface 3 als Artistic director und Moderator jemand vor, der sich seine Meriten weniger in gedeihlicher Forschung erwarb als durch medientheoretische und Radio-Piraterie. Erstere fand ihren Niederschlag unter anderem in Büchern und Zeitschriften, die er als Angehöriger der Agentur Bilwet (Stiftung zur Förderung der illegalen Wissenschaften) mit dieser veröffentlichte. Zweitere betreibt er mit Sendungen bis heute am (zugegeben: tolerierten) Radio Patapoe in Amsterdam.

Wo Medientheorie hierzulande meist ernsthaft betrieben wird und Neue Medien entweder kulturpessimistisch oder euphorisch begrüßt werden, vermeidet man Ernst, Pessimismus und Euphorie im ,Medien Archiv' der Agentur Bilwet. Was dort betrieben wird, nennt sich illegitime und ambulante Wissenschaft.

Dieser akademische Wechselbalg hat weniger eine Theorie als eine Methode. Nicht so sehr eine Terminologie als der bewegliche, ironische Umgang mit Termini dient hier als Kompaß, um Überlegungen zu Verkehrsschildern, Hausbesetzungen, Leni Riefenstahl oder Aliens Richtungen ohne Orientierung zu weisen.

Diese Form der Theorie schert sich nicht um Berührungsängste und Gesten legitimer Wissenschaft und hält Spott und Spekulation für erkenntnisfördernd. Sie wühlt im Abfall ihrer Theoreme, klaut Metaphern und Thesen und bastelt aus ihnen Texte wie kleine, kluge Roboter, die nicht tun, was ihnen befohlen ist.

Die auf den Universitäten gepflegte Trennung von Theorie und Praxis drehen Bilwet und Lovink ignorant um: Medientheorie ist für sie zunächst und vor allem mediale Praxis, und die ist so unvermeidbar wie bestimmbar. Ihnen dienen dazu die „souveränen Medien“, die sie von jedem potentiellen Publikum emanzipierten: Radio, das keine Musikfärbung hat und keine Wasserstandsmeldungen, oder Texte, die nicht aufklären, sondern verwirren.

Die „souveränen Medien“ richten sich in vorauseilendem Ungehorsam nicht nach einer zu erwartenden Rezeption. Sie lassen vielmehr diese zu und schaffen Raum, selbst zu senden: „Das Signal ist da, man muß es nur nehmen.“

Genüßlich berichtet Lovink in Hör zu – oder stirb! (Berlin 1992) von Piratensendern in Amsterdam, die die Hörenden fragen: „Bist du Publikum? Verkrümel dich!“ Erfreut wünscht die Agentur dem Buchumschlag des Datendandy (Mannheim 1994) „viel Erfolg beim Ablenken vom Inhalt“ und bekennt, die Frau Antje der Theorie zu sein: Sie wolle Erwartungen enttäuschen wie diese mit ihrem geschmacklosen Käse.

Welche Erwartungen Lovink auf der Interface 3 enttäuschen kann, ist noch nicht heraus. Seine Einleitung zum Kongreßprogrammheft kündigt an, daß er Netzkritik betreiben will statt der modernen Technikkritik: Die Netze seien da, und sie verschwänden so wenig wie seinerzeit die Technik, indem man über sie lamentiere oder sie zur Mode erkläre: „Neue Medien sind wie neugeborene Kinder: Sie können furchtbar laut und ausdauernd schreien, und das Verneinen hilft dann am allerwenigsten.“ Netzkritik dagegen sei ambivalent und versuche, die Unvereinbarkeiten der Neuen Medien, die schmutzige Realität und das körperlose Digitalia produktiv zu machen.

Neben der Praxis in der Konferenzleitung wird Geert Lovink gelegentlich zusammen mit den LIGNAradio-Gruppen abends zwischen 18 und 20 Uhr auf dem Offenen Kanal (96.0 MHz) kongreßleitend theoretische Freibeuterei und ästhetischen Strandraub betreiben. Wahrt euch, mediale Pfeffersäcke!

Friedrich Tietjen