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SanssouciVorschlag

■ Dylan-Forscher Paul Williams in der Filmbühne am Steinplatz

Die Dylanologie ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft. Am Anfang steht meist ein parareligiöses Erweckungserlebnis (St. Bob spricht aus einem brennenden Dornbusch), das dann in langen Jahren der Exegese und des schmerzvollen Verzichts auf gröbere Heroisierungen ins Wissenschaftliche geläutert wird – ohne allerdings seinen theologischen Kern je ganz verleugnen zu können. „Ich glaube“, schreibt Paul Williams in seinem (bislang) zweiteiligen Grundlagenepos zur Musik Bob Dylans, „daß das Gesamtwerk eines Künstlers gerade deshalb so faszinierend sein kann, weil es keine Möglichkeit gibt, die Vielfalt und Tiefe zu ermessen (zu analysieren, beschreiben, erklären). Dieses Mundharmonikasolo vor der letzten Strophe!“

Ja, dieses Solo: Williams, zur Zeit auf Lesereise, ist Fan und Privatgelehrter zugleich. Er scheut, amerikanisch-unbekümmert, nicht vor Vergleichen mit Picasso zurück, gräbt sich aber auch zäh ins Detail ein. Keine verhuschte Aktion, kein Schwanken in der schwer faßbaren Dylan-Stimme ist zu gering, um es nicht in die Auslegung mit einzubeziehen. Dylanologen sind eben in der Regel nicht Positivisten, sondern Hermeneutiker.

Anders als andere Forscher in diesem Feld – etwa der Bochumer Kreis oder, beinhart, der Ex-Zitty-Musikredakteur Christian Beck – geht Williams aber auch ins Gericht mit Dylan. Gnadenlos rechnet er ihm schwache Textzeilen vor und gelangt zu Wertungen, wo die meisten im Memorieren von Lieblingszeilen steckenbleiben. Das Recht, derart ex cathedra zu sprechen, bezieht Williams nicht nur aus einer strategisch klugen Beschränkung auf Dylan als „performing artist“, sondern auch aus seiner Old- School-Position als Herausgeber und maßgeblicher Autor des prägenden amerikanischen Musikmagazins Crawdaddy.

Mit solchen Leuten ist – bei aller Liebe – nicht zu spaßen, und immer befinden sie sich in einem prekären Verhältnis zur Laufzeit des Objekts ihrer Begierde: Paul Williams jagt Bobby the Kid. Etwa 1999, mit dem Erscheinen des letzten Bandes der Dylan-Trilogie, dürfte der Forscher seinen Gegenstand eingeholt haben. Rein theoretisch. Thomas Groß

Paul Williams spricht über Bob Dylan (anschließende Vorführung des Films „Pat Garrett jagt Billy the Kid“). 20 Uhr, Filmbühne am Steinplatz.

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