Predigt woanders!

■ Evangelische Kirche schließt Ausbildungsinstitut. Angehende Pfarrer sollen Predigen in Brandenburg lernen

Die Kirchenkassen sind leer. Die Kirchenmusikschule im evangelischen Johannesstift in Spandau wird abgewickelt. Eltern protestieren gegen die Schließung evangelischer Schulen in Mitte. Und jetzt geht es auch den angehenden PfarrerInnen an den Kragen. Ihre Ausbildungsstätte, das „Praktisch- Theologische Ausbildungsinstitut“ (PTA) in Nikolassee soll auch geschlossen werden. Dabei feiert das Intitut in diesem Jahr sein 25jähriges Bestehen.

Die TheologInnen sollen demnächst im Predigerseminar Brandenburg ausgebildet werden, einer Ausbildungsstätte, die es bereits zu DDR-Zeiten gab und die von mehreren Landeskirchen getragen wird. Zwei Ausbildungsinstitute könne sich die Kirche derzeit nicht leisten, betonte der Berlin-Brandenburgische Bischof Wolfgang Huber. Die Zahl der Auszubildenden soll von derzeit etwa 60 pro Jahr auf 20 reduziert werden, weil die Kirche in Zukunft weniger PfarrerInnen einstellen wird.

Die TheologInnen protestieren gegen die Abwicklung ihres Institutes. Vor 25 Jahren hatten angehende PfarrerInnen der 68er-Generation dieses Ausbildungsmodell mit dem Anspruch entwickelt, eine „alltagstaugliche Theologie“ sowie eine „gesellschafts- und herrschaftskritische Theologie“ zu entwickeln und den Antijudaismus in der Theologie aufzudecken. Damalige Politiker wie Franz Josef Strauß (CSU) sahen eine „Gefahr für die Sicherheit Berlins“.

Ein mehrmonatiges Praktikum in einem nichtkirchlichen Bereich, etwa in einer Beratungsstelle, in einem Kaufhaus oder auch in einer Kneipe ist Teil der Ausbildung. Mit der Schließung werde einem wichtigen gesellschafts- und kirchenreformerischen Ansatz der Boden entzogen, fürchten die Auszubildenden nun. „Ist es nicht so, daß sich die Kirche in guten Zeiten Experimente leistet, aber sich in schlechten Zeiten widersinnig an das klammert, was sie verschwinden sieht?“ fragt sich eine Auszubildende.

Es entstehe der Eindruck, daß jetzt im Abwicklungsplan ein West-Institut an der Reihe sei, nachdem zahlreiche Ost-Einrichtungen bereits abgewickelt worden seien, vermutet Karin Singha, Vorsitzende der VikarInnenkonferenz. Dem Institut hafte noch immer das Image eines 68er-Modells an und sei deshalb vielen Konservativen ein „Dorn im Auge“.

Aus dem gesellschaftspolitischen Engagement der hier ausgebildeten PfarrerInnen sind zahlreiche Berliner Projekte und Initiativen entstanden, beispielsweise das „Haus der Mitte“ in Gropiusstadt, die Arbeitsgemeinschaft „Leben mit Obdachlosen“ mit Sitz in der Heilig-Kreuz-Kirche und der Verein „Asyl in der Kirche“. Auch die Unterbringung der Flüchtlinge, die 1991 vor den gewalttätigen Ausschreitungen in Hoyerswerda nach Berlin geflohen waren, wurde unter anderem von diesen TheologInnen organisiert. Unter den Autonomen, die gemeinsam mit ihnen die Flüchtlinge betreuten, war ebenfalls ein PTA-Theologe, der zwischen den verschiedenen Gruppen vermittelte. Viele der an diesem Institut Ausgebildeten, beispielsweise die Grünen-Politikerin Antje Vollmer, übten später einen anderen Beruf aus. Von hier wurde auch die kirchliche Friedensbewegung beeinflußt.

Um das Finanzargument zu entschärfen, haben die Auszubildenden ein Modell entwickelt, nach dem die Kosten von bisher rund 850.000 Mark jährlich halbiert werden könnten. Aber auch dieses Konzept wird nach Aussage von Bischof Huber die Abwicklung nicht verhindern. Anscheinend wolle die Kirche sich diese Ausbildungseinrichtung nicht mehr leisten, meinen die TheologInnen.

Und noch eines steht im Raum: Wenn die Berlin-Brandenburgische Evangelische Kirche demnächst nur noch 20 TheologInnen pro Jahr ausbildet, dann müssen die übrigens 200 bis 300 Studierenden warten, bis sie vielleicht in zehn Jahren einen Platz bekommen. Oder sie suchen sich gleich einen anderen Beruf. Anne-Kathrin Koppetsch