: „Nur fürs Bier gespielt“
■ Ansichten eines Altgedienten: Auch als Leiter des Berliner JazzFest ist Albert Mangelsdorff sich selbst Programm. Trendhopping ist seine Sache nicht
taz: Nicht erst als neuer Leiter des JazzFests sind Sie auch so etwas wie ein Gründungsvater des deutschen Nachkriegs-Jazz. Wie haben Sie diese frühen Jahre erlebt?
Albert Mangelsdorff: Im großen und ganzen war es ganz einfach Befreiung. Es gab natürlich auch welche im Jazz-Kontext, die mit dem Naziregime etwas zu tun gehabt hatten. Aber das waren die Ausnahmen. Unsere Erwartung hingegen, daß nun alles Jazz war, nachdem die Amerikaner übernommen hatten, das war es ja nun mal auch nicht.
Seit wann sind Sie Profi?
Seit 1947. Die Aufbruchstimmung unter uns jungen Leuten damals ging sehr mit dem Jazz zusammen. Aber die Jazz-Akzeptanz unter der breiten Bevölkerung war so gut wie null. Wollte man Jazz machen, ging das eigentlich nur bei den schwarzen Truppeneinheiten, während man bei den weißen die Tagesschlager spielen mußte. Es gab ja damals noch die Rassentrennung innerhalb der amerikanischen Armee. Die schwarzen Clubchefs ließen uns spielen, was wir wollten. Als dann die sogenannte Rassenintegration kam, wurden die schwarzen durch weiße Clubchefs ersetzt. Und wir waren dann eigentlich zunehmend auf das zivile Terrain angewiesen, wenn wir weiterhin Jazz spielen wollten. Später sagte man mal, das seien die goldenen Jahre des Nachkriegs-Jazz gewesen. Das betraf aber bestenfalls jene, die damals Oldtime-Jazz gespielt haben; uns Moderne, die Miles Davies und Lennie Tristano hörten, allerdings überhaupt nicht.
In den Fünfzigern kam dann die Maloche fürs Geld.
Da wurde gespielt von abends acht bis morgens vier mit zwei Pausen, das waren eigentlich als Jazzclubs getarnte Bars. Und das waren total ungesunde Verhältnisse, Dinge, die sich auch nur machen lassen, wenn man ordentlich einen dazu schluckt. Und so haben sich einige unserer Kollegen damals ziemlich kaputtgemacht. Als dann der Frankfurter Jazzkeller aufmachte, hatten wir den ersten richtigen Jazzmusikertreff, aber wer da spielte, bekam nichts. Da wurde nur fürs Bier gespielt.
Wo bleibt der Spirit beim deutschen Nachwuchs-Jazz?
Das ist sicher ein Problem. Die jungen Musiker haben heute eine extrem gute Ausbildung, um die ich sie beneide. Sie wissen mit 23 heute so viel über ihr Instrument und die Musik wie wir damals mit 40. Aber sie klingen alle sehr ähnlich, weil sie alle aus der gleichen Werkstatt kommen. Und das nun erst mal loszuwerden, da fängt's eigentlich erst an.
Was ist aus der Aufbruchstimmung geworden?
Brauchen wir diese Aufbruchstimmung unbedingt? Das ist ja doch eher eine Sache, die das Umfeld betrifft. Jazz hingegen ist eine sehr individuelle Musik. Ein Musiker ist zeitlebens in einer Art von Aufbruchstimmung. Neue Wege, neue Ausdrucksmöglichkeiten suchen – das ist die Sache des Musikers. Ob Musiker darüber hinaus in ihrem Umfeld eine Aufbruchstimmung erzeugen können, weiß ich nicht. Sie findet jedenfalls nicht oft statt. Sie hat stattgefunden nach Ende des Krieges und in den sechziger Jahren, als der Free Jazz aufkam. Aber sie ist keine unerläßliche Komponente des Jazz.
Gab's nach 1989 im Jazz auch eine Aufbruchstimmung?
Wenn überhaupt, dann doch wohl eher im Osten. Obwohl die kompetenten Musiker aus dem Osten zu jener Zeit schon längst ihre Dauervisa nach dem Westen hatten und wir ja früher auch sehr oft drüben gewesen sind.
Nachdem der Exotenbonus weg war, kamen für die DDR-Jazzer wohl erst mal Ernüchterung, Computer, Anrufbeantworter und Faxmaschinen. Dann kam sehr schnell das Ost-Revival, es gab aber auch so 'ne Art Verbeugung vor der amerikanischen Tradition, wie etwa die des Zentralquartett heute vor dem Blue-Note-Sound der Sechziger.
Ich verstehe das auch sehr gut. Und es tut mir wahnsinnig leid, daß alles, was uns von Anfang an möglich war, drüben einfach nicht machbar war. Es bleibt ein grundlegender Unterschied, ob man nachts mal die „Voice of America“ empfangen kann, oder ob man mit den Amerikanern spielt oder gar mit ihnen lebt. Wir haben ja nicht für und mit den schwarzen Amerikanern gespielt, sondern wir haben ja auch den ganzen Tag über mit ihnen in den Service-Clubs herumgehangen. Und uns ganz zwangsläufig auch amerikanische Attitüden zugelegt. Das ist eben 'ne ganz andere Sache.
Die Groove Night wird bestritten von Doldinger und Herbolzheimer, der Siebziger-Groove ist aktuell wie nie zuvor. Aber wenn schon Groove, warum nicht in die Zukunft schauen?
Bei den meisten deutschen Teilnehmern ging es ja vor allem darum, daß sie mal wirklich berücksichtigt sein sollten. Es gibt gewiß eine ganze Menge jüngerer guter Musiker, die aber alle noch erst mal ihre Persönlichkeit finden müssen. Zukunftsweisende Jazzmusik dieser Tage habe ich aber leider noch nicht gehört. Sie etwa?
Wo bleibt die Trendkomponente? Haben Sie denn keinen Humor?
Was die sogenannten Trends angeht, da bin ich immer schon vorsichtig gewesen. Ich bin da nie aufgehüpft.
Könnte man so sagen: Es gibt eine Mangelsdorffsche Definition von Jazz, und die ist das Programm?
Ja, bitte! Interview: Christian Broecking
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen