„Ich muß diese Enklaven loswerden“

Der französische UN-Kommandeur in Bosnien ließ die Schutzzone Srebrenica fallen – auf direkte Anweisung von Präsident Chirac. USA und Deutschland waren einverstanden  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Als sich der französische Kommandeur der UN-Truppen für Exjugoslawien (Unprofor), General Bernard Janvier, mehrmals weigerte, Nato-Luftstreitkräfte zur Verteidigung der UNO-Schutzzone Srebrenica gegen serbische Angiffe anzufordern, handelte er auf direkte Anweisung von Präsident Jacques Chirac. Das geht aus übereinstimmenden Angaben französischer Regierungskreise und Unprofor-Mitarbeitern in Zagreb hervor.

Nach diesen Angaben erteilte Chirac seinem General die Anweisung in einem Gespräch Anfang Juli, also wenige Tage vor Beginn der serbischen Angriffe, die am 11.Juli mit der Eroberung Srebrenicas endeten. Bereits seit Mitte Juni hatten französische und US- Geheimdienste durch Telefonüberwachung und Luftaufklärung umfangreiche Erkenntnisse über die serbischen Angriffsvorbereitungen gewonnen. Diese Informationen lagen auch dem Bundesnachrichtendienst (BND) vor.

Fünfmal hatte Janvier sich geweigert, der Anforderung der in Srebrenica stationierten niederländischen Unprofor-Einheit nach Nato-Luftunterstützung nachzukommen; unter anderem mit der Bemerkung: „Meine Herren, verstehen Sie nicht? Ich muß diese Enklaven loswerden.“ Auch 95 Prozent aller sonstigen Gesuche lokaler Unprofor-Kommandeure um Nato-Luftunterstützung wurden entweder von Janvier und seinem Vorgänger de Laprelle abgelehnt oder von den britischen Unprofor-Kommandeuren Rose und Smith. Verantwortlich gemacht für die angeblich nicht funktionierende Zusammenarbeit zwischen UNO und Nato wurde allerdings der Japaner Yasushi Akashi, der zum heutigen 1.November als UNO-Sonderbeauftragter für Exjugoslawien seinen Hut nehmen muß.

Bereits seit Dezember 1994 hatte Frankreich bei internen Beratungen der Bosnien-Kontaktgruppe gemeinsam mit Rußland und Großbritannien für einen „realistischeren Friedensplan“ und die Überlassung der drei ostbosnischen Muslimenklaven und UNO-Schutzzonen Srebrenica, Žepa und Goražde an die Serben plädiert – was zunächst noch auf den Widerstand der USA und Deutschlands traf. Als Janvier aber am 24.Mai vor dem UNO-Sicherheitsrat für die Aufgabe Srebrenicas und anderer UNO- Schutzzonen plädierte, stieß er zwar auf Widerspruch bei den Niederlanden, Malaysia, Pakistan, Neuseeland und der Türkei. Die Botschafter Rußlands, der USA, Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands aber schwiegen – für Teilnehmer der Sitzung eine klare Zustimmung zu Janviers Plädoyer.

Die Regierungen in Bonn und Washington lassen unterdessen weiter offen, wann und in welchem Umfang sie von den Erkenntnissen ihrer Geheimdienste über die serbischen Angriffsvorbereitungen auf Srebrenica und die nachfolgenden Massaker an bis zu 6.000 muslimischen Männern informiert wurden. Auf entsprechende schriftliche Anfragen der taz vom 16.Oktober reagierten Verteidigungsministerium und Regierungssprecher bislang überhaupt nicht. Außenminister Klaus Kinkel antwortete mit Schreiben vom letzten Wochenende zwar, „daß die Bundesregierung möglicherweise über die serbischen Angriffspläne auf die UNO-Schutzzone Srebrenica informiert gewesen sei“, treffe „jedenfalls“ nach seinen „Kenntnissen und Nachprüfungen nicht zu“. Zur Frage nach etwaigen Informationen der Bundesregierung über die Massaker äußerte sich Kinkel nicht.

US-Regierungsvertreter bestätigten auf Nachfrage der Washington Post inzwischen den Bericht der taz vom 12.Oktober zu den Erkenntnissen von CIA und NSA über die Angriffsvorbereitungen und die Massaker nach der Eroberung Srebrenicas.

Die Geheimdiensterkenntnisse über die Telefonkommunikation zwischen dem Generalstabschef Serbiens, Perisić, und dem Kommandeur der bosnischen Serben, Mladić, werden in Washington bislang jedoch nicht bestätigt. Nach diesen Erkenntnissen wurde die Militäroperation gegen Srebrenica wie die nachfolgende „Evakuierung“ der Stadt und die Verschleppung tausender „wehrfähiger“ Männer von dem Belgrader General initiiert und befehligt.

Diese Informationen passen nicht zu dem „Friedensprozeß“, der mit den heute in Ohio beginnenden Geheimverhandlungen zwischen den Präsidenten Serbiens, Bosniens und Kroatiens in seine entscheidende Phase tritt. Denn dabei kommt Serbiens Präsident Slobodan Milošević nach Auffassung der USA und ihrer vier Kontaktgruppenpartner die zentrale Rolle zu.