Bürgerentscheid gegen Jugendzentrum

Die CSU hat in Nürnberg die Basisdemokratie endeckt und will per Bürgervotum das Jugendzentrum „Komm“ schließen lassen. Weil Wahlkampf bevorsteht, eiern auch SPD-Unterstützer  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – Schon das Transparent, das weit sichtbar am Giebel des Jugendzentrums „Komm“ gegenüber vom Nürnberger Hauptbahnhof prangt, verrät, daß hier Veränderungen befürchtet werden. Die Losung „Komm bleibt Komm – von vielen geliebt, von manchen verkannt“, steht im krassen Gegensatz zu den Schlagzeilen der Nürnberger Tageszeitungen. „Randalierer haben das Kommando übernommen“ und „Streifenwagen unter Beschuß“ titeln die Blätter. Oder auch: „Stadt will jetzt mit Chaoten aufräumen“.

Das Jugendzentrum „Komm“ steht wieder unter Beschuß. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Schließlich ist die direkte Bahnhofsnähe Gewähr für Konflikte mit allen möglichen Randgruppen. Außerdem stehen im März 1996 Kommunalwahlen im rot-grün-regierten Nürnberg an, und da ist Profilsuche angesagt.

Seit der Gründung des Zentrums 1973 hat die CSU bei jeder Gegelegenheit die Schließung des halbstädtischen Hauses gefordert. Doch erst jetzt hat sie allen Grund, sich vergnügt die Hände zu reiben. Denn Teile der SPD scheinen ihre Unterstützung für das „Komm“ und das Selbstverwaltungsmodell, wonach der Trägerverein autonom über die städtischen Gelder verfügen kann, in Frage zu stellen. Hartmut Frommer, sozialdemokratischer Rechtsreferent, droht gar dem Betreiberverein mit der Kündigung und der Stornierung der städtischen Gelder in Höhe von 360.000 Mark im Jahr. „Wir tolerieren nicht, daß die Grenzen von Gewaltbereitschaft und Legalität überschritten werden.“

Der Rechtsreferent bezieht sich dabei auf einen Vorfall vom letzten Wochenende. Laut Polizeibericht wurde ein Streifenwagen vom „Komm“ aus mit einer Flasche beworfen, ein durch das Jugendzentrum patrouillierender Beamter mit einer Wasserspritzpistole naßgespritzt und einer zweiten Beamtin versucht, die Pistole zu entreißen. „Komm“-Mitarbeiter bezweifeln zwar die Richtigkeit der Polizeiversion, betonen jedoch, daß man „derartige Taten keineswegs billigen“ würde. Die Polizeiaktion sei jedoch „völlig überzogen“ gewesen. „Wir betrachten die Häufigkeit ähnlicher Maßnahmen in und ums „Komm“ in letzter Zeit als bewußt angewandte Strategie, um das „Komm“ als Wahlkampfmunition zu mißbrauchen.“

„Mehrmals in der Woche gehen Beamte demonstrativ und provokativ durch das Haus, kontrollieren Ausweise und führen Leibesvisitationen durch“, berichtet auch der städtische „Komm“-Leiter Wolfgang Kischka. Zusätzlich würden zahlreiche Streifenwagen täglich die Punkszene rund ums Haus observieren. „Das ist doch keine zufällige Zeitgleichheit mit dem Wahlkampfbeginn“, so Kischka.

Während das „Komm“ in den Vorjahren stets der Unterstützung durch die SPD sicher sein konnte und vor wenigen Wochen Oberbürgermeister Peter Schönlein noch betonte, das Haus sei „unverzichtbarer soziokultureller Bestandteil“ der städtischen Kulturpolitik, wundern sich zahlreiche „Komm“-Mitarbeiter über den „Schmusekurs des SPD-Rechtsreferenten gegenüber der Polizei“. Sie können sich keinen Reim darauf machen, warum sich die Kommune, statt Stärke zu zeigen, die Ordnungspolitik von der Polizei bestimmen lasse.

Auch Jürgen Wolff vom SPD- Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen hält Frommers Äußerungen für „unverantwortlich“ und spricht von einer „konzertierten Aktion von CSU und Polizei“. CSU-OB-Kandidat Ludwig Scholz ist hingegen rundum zufrieden: „Ich registriere mit Genugtuung, daß die seit langem vorgebrachten Überlegungen der CSU nun auch bei der Stadtspitze Eingang gefunden haben.“ Seine Partei setzt zusätzlich auf Volkes Stimme und denkt verschärft über einen Bürgerentscheid zum Thema „Komm“ nach. Am 1.OKtober hat dieses basisdemokratische Instrument – per Volksentscheid gegen den erbitterten Widerstand der Christlich-Sozialen im Freistaat – Gesetzeskraft erlangt. Die CSU zeigte sich jedoch schnell lernfähig. Hatte sie zuvor landauf, landab gewarnt, daß dann im Freistaat das „Chaos“ ausbreche, kündigte sie in Nürnberg schon kurz nach Auszählung der Stimmen an, die Schließung des „Komm“ per Bürgervotum durchzusetzen. „Wir sind gesetzestreue Menschen, der Bürgerentscheid ist ein reizvolles Instrument für die Opposition in einer Großstadt“, betont CSU- Mann Scholz. Das Jugendhaus sei „ein Schandfleck an der Eingangspforte zur Altstadt“, hier müsse „endlich aufgeräumt werden“.

Daß die Selbstverwaltung letztlich an der Basisdemokratie scheitern könnte, daran glaubt „Komm“-Leiter Kischka nicht. Zwar ging eine von einer Zeitung durchgeführte Vorabumfrage mit 51,8 Prozent gegen das Jugendhaus aus, aber Kischka ist dennoch optimistisch. Wenn es darauf ankommt, sagt er, „wird die Mehrheit der BürgerInnen hinter dem ,Komm‘ stehen“.