Der Wiedergänger von Orson Welles

■ David Thomas von Pere Ubu über Rock als Hochkultur und über den Künsteler als älterer Mann

Inzwischen kann man Pere Ubu über das Internet erreichen (pereubu§projex.demon.co.uk), und eine CD-Rom gibt es auch. Beides gehört heute zwar zum Standard, doch bei dem Quintett aus Ohio liegt der Fall anders. Schließlich war die Gruppe schon immer modern, also in ihren Mitteln auf der Höhe der Zeit, und in ihren Zielen das Möglichste (oder auch das Unmöglichste) ansteuernd. Auf den ersten Aufnahmen vor über zwanzig Jahren schlug sich das in selbstgebauten Synthesizern und stark angegriffenen bis völlig zerbröselten Songstrukturen nieder.

Auf dem neuen Album Ray Gun Suitcase, das ziemlich an den Industrial-New-Wave-Erstling The Modern Dance erinnert, zeigt sich die Haltung dagegen am sturen Beharren an einem einmal eingeschlagenen Kurs. Leider hockt Pere Ubu kommerziell deshalb noch immer (oder schon wieder) in seiner alten Progressivitäts-Fallgrube. Irgendwie paßt ihre Musik nicht in den inzwischen weit verzweigten Popmarkt. Man könnte das Schicksal nennen, aber Schicksal ist eine Frage von Entscheidungen.

„Wir sind mit der Rockmusik der späten 60er und frühen 70er Jahre aufgewachsen“, erzählt David Thomas, Sänger und letztes verbliebenes Gründungsmitglied Pere Ubus. „Rock entwickelte sich damals in einem unglaublichen Tempo von einer Jugendmusik zu einer Musik für Erwachsene. Uns schien es, als müßte die nächste Stufe zwangsläufig der Status einer ernstzunehmenden Kunstrichtung sein. Das war unser Ziel, und ich glaube noch heute, daß Rock Hochkultur sein kann, so wie Henry James oder Goethe. Viele aus meiner Generation sehen das ähnlich, doch allgemein herrscht eine andere Ansicht. Also fragen mich die Leute, warum ich mit 40 noch Platten mache. Aber hat jemals irgendjemand Raymond Chandler gefragt, warum er auch im Alter noch Romane geschrieben hat?“

Also geht es weiter mit Pere Ubu, mit unbeugsamem Enthusiasmus und immer neuen Bandmitgliedern – die übrigens fast alle auf die eine (Nachbar) oder andere (befreundete Musiker) Art schon immer dabei waren. Ein bißchen erinnert ihr Überleben als eigene Legende an das Schicksal von Thomas' großem Idol: dem genialen, aber legendär erfolglosen Orson Welles. David Thomas hält diese Parallele aber nicht unbedingt für ein schlechtes Zeichen: „Orson Welles hat immer wieder erzählt, wieviel Mühe er hatte, seine Filme finanziert zu bekommen. Aber ich bin sicher, daß seine Sachen deshalb so gut sind, weil es so schwer war, sie zu verwirklichen.“ Peter Lau mit Long Fin Killie: Sonntag, 5. November, Logo, 21 Uhr