Bedrohte Tierarten und Fliegentod

■ Die Nachtragskürzungen im Kulturhaushalt 1996 sind nichts gegen das, was ab 1997 droht

Von den Operationen ohne Betäubung, die den Hamburger Subventionsempfängern im Bereich Kultur drohen, war die am Dienstag beschlossene weitere Kürzung von 2,95 Millionen Mark für 1996 (taz berichtete) höchstens die Blinddarmdimension. Die Entfernung der Innereien droht angesichts der dramatischen Haushaltslage konkret ab 1997.

Mit einem entsprechend resignierten Unterton kommentierten die Betroffenen dann gestern auch die Entscheidung, von denen hier nur einige Beispiele zitiert werden sollen, weil das Schmerzgeschrei sich doch sehr gleicht. Hella Schwemer, Übergangsdirektorin der Hamburger Bücherhallen, die schon aus dem regulären Haushalt Einsparungen von 2,75 Mio. Mark erbringen muß sowie 2 Mio. Mark Schulden aus 94/95 offen hat, weiß ebensowenig, wo sie weitere 400.000 Mark einsparen soll, wie Peter Dannenberg, Intendant der Hamburger Symphoniker (Neubelastung: 132.000 Mark). Schwemer deutet an, daß bei weiterer Drosselung Filialen geschlossen und Personal abgebaut werden müßten. Dannenberg hat um ein Gespräch bei der Senatorin ersucht, weil er es als „sozial unverantwortlich“ empfindet, daß er seinem schlecht bezahlten Orchester das 13. Monatsgehalt kürzen soll, welches bei den weit besser verdienenden Philharmonikern selbstverständlich bezahlt wird.

Susanne Stähr, Sprecherin der Oper, verweist schulterzuckend darauf, daß die 265.000 Mark Neubelastung im Verhältnis zu den Millionen, die sie sowieso einzusparen hätten, nur eine kleine Mehrbelastung seien.

Richtig sauer sind die „Kleinen“, die prozentual am härtesten rangenommen wurden. Angesichts von Kürzungen von 0,5-0,8 Prozent bei den Staatstheatern empfindet Ralf Henningsmeyer (AG Stadtteilkultur) 3 Prozent weniger in seinem Bereich als eine Maßnahme „unter aller Sau“. Und Peter James, Chef von Rock City, empört sich, daß die Projektförderungen für Rock, Jazz und freie Klassik sogar um skandalöse 10 Prozent gekürzt wurden: „Während man seiner alten Klientel den Kaviar vom Tisch nimmt, stiehlt man den Schwachen den letzten Hering von den Pellkartoffeln.“

Und demnächst wohl noch die Pellkartoffeln dazu. Denn durch die massiven Steuermindereinnahmen eröffnet sich ab 1997 ein weiteres Milliardenloch im Haushalt, das einen zweiten Konsolidierungshaushalt erfordert. Zu den 2,7 Mio. Mark, welche die Staatstheater und die Deichtorhallen bis 1997 noch einsparen müssen – eine Größenordnung, über die Schauspielhaus-Intendant Frank Baumbauer schon letztes Jahr sagte, er wisse nicht mehr, wie er seinen Teil erbringen solle – kommen nach optimistischen Schätzungen noch einmal mindestens 10 Millionen Mark Neueinsparungen hinzu. Das bedeutet unzweifelhaft, daß dann nicht nur eine Kultureinrichtung über die Klinge springen wird.

Zu den bedrohten Tierarten gehören vermutlich Institute, die entweder finanzielle Probleme mit sich schleppen oder deren künstlerische Akzeptanz in der Öffentlichkeit schwankt, und die nicht Alleinanbieter für eine Kultursparte sind. Bei den kleinen Projekte aber beginnt das Fliegensterben schon dann, wenn sie auch nur geringe Kürzungen hinnehmen müssen.

Zudem erwartet Hamburg 1997 ein Intendantenproblem. Denn wenn es so kommt, daß die Staatstheater sich einen weiteren dicken Batzen aus den Rippen schneiden müssen, könnten sich die bisher leisen Drohungen von Frank Baumbauer, Jürgen Flimm und Albin Hänseroth, mit ihnen sei nicht jede Kürzung zu machen, zu einem kreischenden Rücktrittsakkord verdichten.

Kultursenatorin Christina Weiss kann also nichts mehr richtig machen. Drum: Maria hilf!

Till Briegleb