Körperkunst der Stunde Null

■ Heute im Schlachthof: Tanz aus Kroatien – „Everybody Goes To Disco From Moscow To San Francisco“

Wieder und wieder knallen die Körper auf die Bühnenbretter. Erheben sich, unendlich elegant, knallen wieder auf die Bretter. Diese Leiber sind nicht totzukriegen. Längst sind selbst die Bühnentechniker verstummt. Ihr routinierter Schnodderton, mit dem sie das Aufwärmtraining der KörperkünstlerInnen verfolgten, ist dahin. Stille im Saal – bis auf das Klatschgeräusch, wenn nasse Körper kollidieren.

„Unser Publikum in den Ländern Osteuropas ist oft eher von der Nacktheit der Akteure geschockt. Hier im Westen beunruhigt das niemanden mehr – hier sind die Leute eher von der Wucht unseres Theaters beeindruckt.“ Auf Schockeffekte aber will sich „Montazstroj“ nicht reduzieren lassen. Seit ein paar Wochen tourt die Theatergruppe aus Zagreb auf deutschen und niederländischen Bühnen. Heute gastieren sie im Bremer Schlachthof. Und überall erklärt Regisseur Borut Separovic geduldig, woher die Wucht dieser Truppe kommt.

Wieder klatschen die Körper der drei AthletInnen auf die Bretter. Aber damit das klar ist: „Dies ist kein Stück über den Bürgerkrieg.“ Motive und Bewegungen aus Sport, Sex, Arbeit und Gewalt („Ultra-Violence“, sagt Separovic) vermischen sich in den heftigen Aktionen auf der Bühne. Die athletischen Sprünge rings um das Basektballnetz (einziges Requisit in der kargen Kesselhalle) verwandeln sich in körperliche Attacken. Die Attacken werden zu Umklammerungen, schließlich zu Umarmungen, wenn die Akteure, schweißgebadet und halbnackt, über den Boden kollern. Zwischen dem zärtlichen Streicheln der Wange bis zum Tritt vors Schienbein liegt hier nur eine leichte Körperdrehung. Dann wieder: Stillgestanden, Ruhe im Glied, im Gleichschritt: Marsch über die Bühne. Ein klarer Fall für die westlichen Kritiker: „Weil wir aus Kroatien kommen, wird die Gewalt immer gleich als Kommentar auf den Krieg verstanden“, klagt der Regisseur. So einfach sei die Sache eben nicht.

Denn die Quellen, aus denen „Montazstroj“ schöpfen, liegen nicht allein im Bürgerkrieg. Sondern z.B. im Kabelfernsehen. Die Videoclip-Ästhetik von MTV fand Separovic sehr inspirierend. Die internationale „Pop Culture“ und deren Ikonografie hat die Arbeit der Gruppe seit ihrer Gründung vor fünf Jahren ständig begleitet. Im Soundtrack sind neben religiös anmutenden Sphärenklängen immer wieder die harten, brutalen Rhythmen der Tekknomusik zu hören. „Everybody Goes To Disco From Moscow To San Francisco“: Der Titel der aktuellen Performance ist einem Rap-Stück entliehen.

Aber genauso umstandslos verarbeitet die „Montazstroj“-Maschine auch Material der Vergangenheit. Wie die Ideen der russischen Theater-Avantgarde der 20er Jahre. Separovic vergißt nicht, die „Montage der Attraktionen“ zu erwähnen. Wie der Revolutionsfilmer Sergej Eisenstein einst die Filmbilder aneinanderrasseln ließ, um die Wucht der Montage auf das Publikum zu übertragen, so läßt „Montazstroj“ heute reale Körper zusammenprallen. Natürlich sind diese Anleihen eher prinzipieller Art, sagt Separovic: Mit der Form der frühen Theater- und Filmexperimenten hat das athletische Theater von „Montazstroj“ wenig gemeinsam. Wichtig ist ihm dabei die Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe. So, wie die Ideen der Revolutionskünstler einen kraftvollen Aufbruch bedeuteten, versteht auch Separovic seine Arbeit als Neubeginn. „Auf eine bestimmte Weise sind wir heute wieder am Nullpunkt“.

Mit harten Schnitten montiert Separovic die Szenen aneinander. Läßt die AkteurInnen einander schlagen und küssen, läßt sie schreien, keuchen, spucken, schweigen. Wo die Bewegungen ständig umschlagen, verlieren sie auch ihre vermeinlich festen Bedeutungen: Ist das noch Basketball, oder ist das schon eine militärische Übung? Oder nur der mechanische Arbeitsablauf einer Fabrik? Alles möglich – „Sie können darin sehen, was sie wollen“, sagt Separovic, des Erklärens müde. Längst gehe nicht mehr um schöne Geschichten, klare Inhalte, um Botschaften oder Charaktere. „Uns ist nur die Form wichtig, das ist alles was zählt. Das einzige Subjekt ist der Körper.“ tw

Heute um 20.30 Uhr im Kulturzentrum Schlachthof, Kesselhalle