Sanssouci
: Vorschlag

■ Das Land, die Landschaft – mal schaurig bunt, mal sinnlich: Experimentalfilme im Babylon-Mitte

Alpine Gipfelidyllen und olympisch gestählte Körper, die in herber Athletik nach Ertüchtigung streben – in den Berg- und Turnfilmen der zwanziger und dreißiger Jahre sind sie Embleme des ideologischen Deutschtums. Als filmische Zitate hat Marcel Schwierin einzelne (Archiv-)Ausschnitte dieser mythologischen Mottenkiste mit Super-8-Amateurmaterial aus den fünfziger und sechziger Jahren zu einer experimentellen Studie über deutsche Trivialmythen collagiert. In Stummfilm-Manier sind einzelne Sequenzen mit emphatischen Zwischentiteln versehen: „Rosen. Rot“, „Die Berge“, oder „Der blaue Konfirmand“.

Die Mehrzahl der Amateuraufnahmen, von Schwierin auf Flohmärkten aufgekauft, zeigt in piefig-naiver Machart stolze Besitzer, die Liebes und Liebgewonnenes ablichten: Haus, Auto, Frau, Kind – und natürlich Hund. So schaurig das Land, so bunt die Bilder. Schwierin, der Fotografie in Berlin am Lette-Verein und Experimentalfilm an der Hochschule der Künste studierte, sieht die eigene Arbeit durchaus ironisch und kommentiert sie als: „melodramatisches Selbstbildnis aus fremdem Material“.

Neben Marcel Schwierin zeigt das Babylon-Mitte in einem Experimentalfilm-Programm außerdem experimentelle Kurzfilme von Gary Beydler, Bruce Baillie und Karola Schlegelmilch. Die letztere, HdK-Absolventin und freie Fotografin, ist mit einem elegisch-spröden Landschaftsfilm vertreten: „Donauwellen“. Im Elbsandsteingebirge und in Island gedreht, nimmt Schlegelmilch die aus 16-Millimeter-Material gemachten Aufnahmen als Bildmaterial, dem nur bedingt zu trauen ist. „Landschaften ähneln Phantasien. Deshalb bietet es sich an, Landschaft mit Seh- und Empfindungswünschen zu belegen.“ Grobkörnige Aufnahmen von Baumkronen, die als wogende Bewegungsstudie eher an Wanderdünen oder Luftbilder der See bei höheren Windstärken erinnern, wechseln mit schlichten Bergpanoramen, während aus dem Off wiederholt eine Stimme nach einer Frau namens „Sophie!!“ ruft, die womöglich in den Landstrichen verlorenging. Jedenfalls, so weiß der Off-Sprecher zu berichten, „genießt sie ihre Räusche“.

Begleitet von isländischen Gesängen und von Walzerklängen untermalt, ist Schlegelmilchs Film eine Landerkundung, die sich mit dem Sehen allein nicht zufrieden geben will, sondern sich als sinnliche Exkursion versteht, wobei der Figur „Sophie“ die Rolle zukommt, Hänge zu erklimmen, in Spalten zu kauern und sich mit der stofflichen Natur vertraut zu machen. Als Ganzes wirkt die Arbeit fast spielfilmartig, wobei die Hauptdarstellerin Landschaft allerdings bisweilen etwas unwillig ist und erst durch die filmische Verfremdung fotogen wird. Gudrun Holz

Filme von Bruce Baillie, Gary Beydler, Karola Schlegelmilch und Marcel Schwierin, heute, 21 Uhr, Babylon-Mitte, Foyer, Rosa-Luxemburg-Straße 30