„Man kann mit dem Pinsel niemanden töten“

■ In Klaus Theuerkaufs Endart-Galerie sind Drucke von Boris Lurie zu sehen

taz: Boris Lurie und No Art! haben vor 30 Jahren das New Yorker Publikum schockiert. Endart waren die Berliner Kunst-Anarchisten der 80er Jahre. Wie habt ihr No Art! entdeckt?

Klaus Theuerkauf: Über den Künstler Dietmar Kirves. Er hat die erste Biografie über No Art! für die Edition Hundertmark herausgegeben. Ich war vollkommen erstaunt, als ich diese Arbeiten 1987 kennenlernte: verbrannte Puppen, Comic strips und andere Sachen, die wir mit Endart auch gemacht hatten. No Art! war kein Künstler-Kollektiv, aber es hat mich verblüfft, daß solche Gruppen-Projekte schon Ende der fünfziger Jahre existierten, und dann noch in den USA.

Die Drucke, die Endart von Lurie ausstellt, wirken eher nach innen gekehrt, depressiv und privat.

Auch darin liegt eine Provokation: Wir zeigen gegen alle Erwartungen Luries konservative Seite. Klassische Moderne bei einem Künstler, der Schock verkörpert.

Trotzdem richtete sich No Art! gegen etablierte Kunst. Im Unterschied dazu war Endart immer auch Teil der Hausbesetzer- und Autonomen-Szene. Gelten die Fronten noch?

Es hat sich sehr viel geändert in Kreuzberg. Der Kiez wird umgemodelt, die Autonomen sind nach Prenzlauer Berg gezogen. Aber auch die haben wir mit unserer Kunst ja geärgert.

Boris Lurie hat KZ-Bilder mit Pornographie gekoppelt, um auf Auschwitz zu reagieren. Endart nimmt sich die Kirche vor und zeigt den Papst als collagierte Möse vor einem Panzer. Worin liegt das zeitspezifische Pendant, das die Haltungen verbindet?

Als wir uns zusammengetan haben, gab es den Nato-Doppelbeschluß, die Außenpolitik von Alexander Haig und einen US-Verteidigungsminister, der gesagt hat, daß Amerika einen nuklearen Erstschlag gewinnen kann. Mit der Atombombe war Angst auf einmal wieder akut.

Bei allem politischen Anliegen existierte No Art! nur als flüchtiger Verbund, während ihr über zehn Jahre weitergemacht habt.

Diese Einschätzung hängt damit zusammen, daß No Art! aus Einzelkünstlern bestand. Viele sind da praktisch reingerutscht: Lil Picard etwa hat nur ein einziges Mal in der March Gallery ausgestellt. No Art! hatte in New York eher einen Effekt wie Dada. Es war von Anfang an trashig, es sollte kaputtgehen. Der Zahn der Zeit nagte schon im Moment der Ausstellung an den Arbeiten. Als Goodman gestorben ist, hat Lurie seine Arbeiten einfach aus dem Atelier geholt und bei sich aufbewahrt. Sonst wären sie auf dem Müll gelandet. Aber auch Lurie hatte mit dem Kollektivgedanken keine Probleme. Seine letzte Show hat er für Goodman organisiert, sie fand unter Goodmans Namen statt, weil er sonst innerhalb der Kunstszene unterrepräsentiert war. Das war auch unsere Methode: Manchmal Einzelpersonen wie Erika de Fries, Adolf Maus etc. zu schaffen, wo eine Gruppe hinterstand.

Was das Selbstverständnis anbelangt, hat sich durch die pc-Debatte auch der Inhalt geändert. Politische Kunst operiert nicht mehr mit Provokation, die auf unklaren Feindbildern beruht.

Darum haben wir uns nie geschert. Das ist eher die Krankheit der deutschen Linken, daß sie nicht mit Sinnlichkeit umgehen kann. Die Deutschen gehen in eine Ausstellung und wollen gleich etwas wissen. Die lassen die Sachen gar nicht erst auf sich wirken. Kunst läuft nicht logisch ab.

Dennoch hat die Koppelung von Pornographie und Massenmord etwas mit Moral zu tun, so wie eure Angriffe zeigen wollen, daß Politik und Kirche ein unanständiges Geschäft sind.

So wie die Medien Massenmorde benutzen, ist es doch Pornographie! Du kannst mit dem Pinsel niemanden töten, da ist ja auch ein Schrei der Verzweiflung bei. In katholischen Gegenden, in Polen, würden sie uns totschlagen wegen der Blasphemie. Aber in Hamburg verstehen die Leute schon nicht mehr, wo das Problem mit der Kirche liegen soll. Von der Inquisition bis zum Kondomverbot ist sie für mich eine kriminelle Vereinigung. Interview: Harald Fricke

Boris Luries „Dance Hall Series“ bei Endart, bis 10. 11., DiSo 1620 Uhr, Oranienstraße 28