■ Der nigerianische Oppositionelle Ken Saro-Wiwa über seine Festnahme, Gerichtsverfahren und Haft. Dienstag verurteilte ihn ein Sondergericht zum Tode
: Ein "alter Kunde" im Gefängnis

Plötzlich kam mein Auto kreischend zum Stehen. Überrascht blickte ich auf. Vor mir stand ein Posten, der das Auto herauswinkte, sein Gewehr auf den Kopf meines Chauffeurs gerichtet. Dann stürzten sich genauso plötzlich mehrere Zivilpolizisten auf die hintere Autotür, rissen sie auf und befahlen mir auszusteigen. Ich weigerte mich. Ihr Ton wurde barscher, aber ich blieb sitzen. Ein höherer Offizier, den ich gut kannte, wies zwei seiner Leute an, sich auf den leeren Beifahrersitz zu setzen.

Sie gehorchten. Dann befahlen sie meinem Chauffeur eine Wende, gegen die Verkehrsrichtung. Er gehorchte. Der höhere Sicherheitsbeamte hatte seinen Wagen schon gewendet und befahl meinem Chauffeur, ihm zu folgen. Hinter uns setzte sich ein anderes Fahrzeug, von dem ich wußte, daß es ein Polizeiauto war, voll besetzt mit Sicherheitsleuten. Unser Konvoi setzte sich in Bewegung.

Es war der 21. Juni 1993. Es geschah an einer Kreuzung in Port Harcourt, einem belebten Knotenpunkt der ebenso belebten Schnellstraße, die von der Innenstadt Richtung Norden nach Aba führt. Die Szene spielte sich vor den Augen anderer Autofahrer ab und viele von ihnen dürften wohl geahnt haben, daß es sich um eine Verhaftung handelte. Ich hingegen wußte es sicher. Es war meine vierte Festnahme innerhalb von drei Monaten.

Als wir in Richtung des Port- Harcourt-Club fuhren, hatte ich keine Zweifel mehr, wo es hinging: zu dem schäbigen Amtssitz des State Security Service (SSS), wo ich bereits ein „alter Kunde“ war, wie man in Nigeria sagt. Ich mußte innerlich lachen.

Drinnen herrschte hektisches Treiben, die ranghöchsten meiner Häscher rannten die verdreckten Treppen rauf und runter, und niemand achtete richtig auf mich. Bei früheren Gelegenheiten hätte ich mit den jüngeren Sicherheitsleuten gefrotzelt. Diesmal spürte ich, daß die Lage ernster ist.

Nach 10 Minuten fuhr man mich zum Polizeihauptquartier, einem Ort, der mir ebenfalls nicht mehr unbekannt war. Der Bau war dringend reparaturbedürftig, wie die meisten öffentlichen Einrichtungen in Nigeria. Auf dem Rasen standen überall Autos in den verschiedensten Farben und Zuständen herum. Einige waren hier offenbar schon seit Jahrzehnten abgestellt, als warteten sie darauf, als Beweismittel zum Einsatz zu kommen, für Fälle, die niemals verhandelt werden.

Ich wurde in eine kleine Kabine gebeten, die als Büro für irgendwelche Ermittlungsbeamten diente, und mußte mich auf einer Holzbank niederlassen. Man schob mir ein Formular hin und forderte mich auf, eine Erklärung über meine Aktivitäten am Wahltag, dem 12. Juni 1993, zu verfassen. Die Ogoni hatten, unter der Führung des Movement for the Survival of the Ogoni People (Mosop), die Wahlen boykottiert. Ich bat der Form halber, meinen Anwalt sehen zu dürfen, bevor ich etwas zu Papier bringen würde. Die Forderung wurde wie erwartet abgelehnt.

Ohne groß zu protestieren zückte ich meinen Füller und schrieb die geforderte Erklärung nieder, wohl wissend, daß sie nie wieder eine Rolle spielen würde. Dann setzte ich schwungvoll meine Unterschrift darunter.

Eine schöne junge Frau mit höherem Dienstgrad forderte mich auf, ihr zum Hauptgebäude zu folgen. Als wir über den offen Hof mit den herumliegenden Autos gingen, zwitscherte mir ein Vogel zu, daß man mich in Lagos in Haft nehmen würde. Wir stiegen die dunklen, übel verdreckten Treppen hoch zum ersten Stock, wo man mich einem anderen höheren Polizeioffizier in flatternden Baumwollgewändern vorführte. Er verwies mich auf einen Stuhl in einiger Entfernung von seinem Schreibtisch.

Nach scheinbar endlosem Warten erzählte mir der Mann, daß man in der Ogoni-Provinz am Wahltag Polizisten zum Bockspringen gezwungen hätte, und daß es dabei zu Zwischenfälle gekommen wäre. Ich gab ihm zu verstehen, daß ich das zum erstenmal hörte, weil ich mich an dem fraglichen Tag in Lagos, 1.000 Kilometer von Ogoni entfernt, befunden hätte. Das ließ ihn kalt. Dann teilte er mir mit, daß ich verhaftet sei. Ich dankte ihm für die Information.

Das Unrecht schleicht durch das Land wie ein Tiger, der hinter seiner Beute her ist. Der Willkür von Hampelmännern ausgesetzt zu sein, ist die äußerste Demütigung. Was wirklich wehtut, ist die Erkenntnis, daß die Instrumente der Staatsmacht dich zu einem Stück Dreck erniedrigen können...

Die Genehmigung, ins Polizeikrankenhaus verlegt werden zu dürfen, kam am Donnerstag, dem 8. Juli... Für meine Bewachung in der Klinik waren sechs bewaffnete Männer der mobilen Einsatztruppe abgestellt, die rund um die Uhr anwesend waren. Jede Wache dauerte 12, manchmal auch 24 Stunden. Ich merkte, daß sie keine regelmäßige Verpflegung hatten und mußte ihnen Geld besorgen, damit sie zu ihrem Essen kamen.

Es war nicht so lustig in dieser Haft, in der ich mich selbst verpflegen, meine Medikamente kaufen, meine Bewacher ernähren und mir Zuversicht einreden mußte. Ich fragte mich oft, wie leicht es für eine der Wachen sein würde, einfach hereinzukommen und mir in den Kopf zu schießen, und das wäre es dann gewesen. Ich war ganz sicher, daß sie der Welt erklären würden, ich hätte versucht zu fliehen, da habe man mich niederschießen müssen.

Gott sei Dank geschah nichts dergleichen. Die Wachen waren ziemlich freundlich. Man teilte mir jede Wachablösung mit, und ihr Anführer stellte sich höflich mit Namen vor. Die meisten wußten über meinen Kampf Bescheid, hatten von mir gehört und zeigten mir ihre Sympathien. Sie täten nur ihre Pflicht, gaben sie mir zu verstehen.

Um fünf Uhr am nächsten Morgen wurde ich durch das Geräusch des Sarges [ein Polizeibus] geweckt, der auf das Gelände fuhr. Ich hörte, wie der Wachtposten zackig salutierte und wußte, daß ein höherer Polizeioffizier im Anmarsch war. Das Geräusch von Stiefeln auf der Treppe. Das harte Klopfen der Wache an der Tür. Die vertraute Silhouette von Herrn Inah [ein höherer Offizier] in seinem langen Kaftan.

Einer der Wachleute kam herauf und sagte mir, er habe erfahren, man werde mich nach Port Harcourt bringen, wo ich wegen einer Strafsache vor Gericht erscheinen müsse.

In Port Harcourt vor Gericht mußten wir sitzen und warten, bis die Richterin – von der ich später erfuhr, daß sie Frau D. war, die berühmte Henkerin des Regimes, wenn es so einen Ausdruck gibt – sozusagen ihren Schreibtisch aufgeräumt hatte. Innerhalb von fünf Minuten hatte sie den Fall, mit dem sie gerade befaßt war, vertagt und unsere Sache aufgerufen.

Ich hörte mit angehaltenem Atem, wie die Anklageschrift verlesen wurde. Ich hätte meine Wut gegen die Decke des trostlosen Gerichtssaales hinauslachen können, wenn man das nicht als Mißachtung des Gerichts gewertet hätte. Ich hörte, wie man sagte, wir hätten uns in einem Ogoni-Dorf, das ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen hatte, zusammengerottet, um dort Pläne zu machen. Daß wir eine Flagge entworfen, eine Nationalhymne geschrieben und was weiß ich noch alles gegen die Regierung von Nigeria geplant hätten.

All das summierte sich zu einer Anklage von sechs Punkten wegen Volksaufhetzung und Bildung einer illegalen Versammlung. Ob wir einverstanden seien, von diesem Gericht abgeurteilt zu werden? Die Antwort war nur Routine. Die Richterin schrieb sie in ihr Buch. Ob wir schuldig oder nicht schuldig seien? Es war sinnlos zu antworten. Die Richterin, Frau. D., schrieb es in ihr Buch.

Dann schrieb sie in ihr Buch und schrieb in ihr Buch, die magere junge Frau hinter ihren Brillengläsern. Und als sie fertiggeschrieben hatte, blickte sie auf und stellte fest, daß erhebliche Verdachtsmomente gegen uns vorlagen. Wie sie zu diesem wundersamen Schluß kam, weiß ich nicht. Sie überwies uns ins Gefängnis. Und übrigens, Frau D. würde, gleich nachdem sie ihren feinen juristischen Verstand an unseren Fall verschwendet hatte, in Urlaub gehen. Und danach kämen die alljährlichen Gerichtsferien, und dann, und dann, nun dann wäre sie bereit, sich unseren Fall am 21. September wieder vorzunehmen. Bis dahin, kalkulierte ich rasch, würde ich drei Monate lang gesessen haben, was der Gefängnisstrafe von sechs Monaten, die für das Delikt der Volksaufhetzung vorgesehen war, schon recht nahe kam.

Nein, ich war nicht empört über Frau D., sie tat mir leid, wie all diese Männer und Frauen, die von dem System gezwungen wurden, das Gesetz zu untergraben, Lügenmärchen zu erzählen, schmutzige Tricks anzuwenden, um sich ihr Gehalt zu verdienen.

Das Gefängnis von Port Harcourt ist nur einen Steinwurf von meinem Büro entfernt. Es war schon dort, bevor ich 1954 zum erstenmal Port Harcourt besuchte. Ich versuche mich jetzt zu erinnern und glaube, daß in der Gesellschaft der Ogoni Gefängnisse gar nicht existierten. Missetäter wurden entweder getötet oder sie mußten Buße zahlen oder man schickte sie ins Exil oder ließ sie Besserung schwören. Als deshalb die Kolonialisten die Idee eines Gefängnisses einführten, einer Besserungsanstalt für die Missetäter, war das neu und vertrug sich nicht gut mit unserer Psyche. Ein Gefängnis war ein Platz, den man meiden sollte. Dort wurden Mörder und Diebe zusammengesperrt. Wer dort landete, war ausgestoßen.

Es stimmt, wir hatten gelesen, daß man in Nigeria Menschen wegen ihrer Überzeugung ins Gefängnis steckte, aber das war etwas, was vorwiegend in Lagos passiert. Bis ich dann dem Volk der Ogoni erklärte, daß man sie betrügt, daß man ihnen ihr Recht auf eine gesunde Umwelt, auf die Ressourcen ihres Landes vorenthält. Dann waren fast alle 500.000 Ogoni, Männer, Frauen und Kinder, zu Aktivisten geworden. Aber an Gefängnis dachten sie noch immer nicht. Wir konnten uns vorstellen von der Hand mörderischer Soldaten oder Polizisten zu sterben, aber nicht im Gefängnis zu landen. Jetzt erschien es mir ganz passend, daß man mich als ersten festgenommen hatte. Es würde künftigen Verhafteten zeigen, daß sie sich in guter Gesellschaft befanden.

Man kann den Zustand eines Landes daran ermessen, in welchem Zustand es seine Gefängnisse hält – besonders wenn die Haftanstalten und ihre Insassen versteckt werden. Nach diesem Kriterium befand sich Nigeria in einem prekären Zustand.

Das Gefängnis stammte noch aus der Kolonialzeit; es war damals das größte Gefängnis in Westafrika gewesen, eine wohlgeplante Anlage mit viel freien luftigen Flächen und pädagogischen Einrichtungen wie Werkstätten und Bücherei. Es hatte auch eine Krankenstation. Es hatte und hat noch eine Frauenabteilung. Aber alles war defekt, alles war zusammengebrochen, alles war weg. Schon nach einem Tag im Gefängnis wurde mir klar, daß ich auf die immer länger werdende Liste meiner Kampagnenpläne ein weiteres Thema setzen mußte: den Zustand der nigerianischen Strafanstalten und ihrer Insassen.

Nachdem man uns ordentlich registriert hatte, brachte man uns zu einem gewissen Herrn Ikpatt. Das war eine Vorzugsbehandlung. Herr Ikpatt, ein kleiner Mann mit Bauchansatz, mit gepflegter Sprache und freundlichem Aussehen, erläuterte mir die Regeln von „Alabama City“, wie man den Ort scherzhaft nannte, und hieß mich willkommen.

Ich bedankte mich und bat um die Erlaubnis, mir mein eigenes Essen zu besorgen. Ich wußte, daß nigerianische Gefängniskost nicht eßbar war; ohnehin brauche ich zum Überleben eine bestimmte Diät, die ich in Nigeria nur von meiner Familie bekommen kann. Ich erhielt auch die Sondererlaubnis, auf der Krankenstation bleiben zu dürfen, da ich medizinisch betreut werden mußte. Dort leckte das Dach wie ein Sieb, es gab keine Zimmerdecke, der ganze Ort war feucht, als Toilette gab es nur einen Eimer, die schmalen Betten hatten verrottete Matratzen, und weiß der Himmel was dieser Ort noch alles zu bieten hatte.

Aber nichts konnte mich mehr überraschen. Ich bat, daß mein Büro uns drei Matratzen schicken dürfe, und dazu Bettwäsche und alle möglichen Reinigungsmittel: Waschpulver, Desinfektionsmittel, Insektizide, alles, was wir brauchten, um diesen verfluchten Ort zu säubern.

Nach meinem üblichen Vier- Stunden-Schlaf wachte ich auf und machte mir Gedanken über meine neue Lage. Als erstes fiel mir ein, wie oft ich in meinen Romanen schon Gefängnisszenen beschrieben hatte. Ich dachte, wie viel besser meine Schilderungen gewesen wären, wenn ich sie nach meinen jetzigen Erfahrungen hätte verfassen können. Der Verlust meines letzten Romans – man hatte mir das Manuskript auf dem Flughafen von Lagos aus dem Koffer gestohlen –, dessen Heldin 25 Jahre im Gefängnis verbracht hatte, hatte mein Schreibbedürfnis fürs erste erledigt...

Ich sinnierte aber auch über die entsetzliche Entdeckung, daß ein Drittel der 1.200 Insassen dieses Gefängnisses Ogoni waren. Die meisten von ihnen waren dort nach Bagatellanklagen abgeladen und dann von der Polizei und den Justizbehörden vergessen worden. Aber ich mußte auch zur Kenntnis nehmen, daß ziemlich viele der Gefängnisaufseher Ogoni-Leute waren. Wer außer den Verdammten dieser Erde wollte schon in einem Gefängnis arbeiten?

q The Guardian

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke