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Die Tiger fliehen mit dem Volk

■ Im Norden von Sri Lanka sind über eine halbe Million Tamilen auf der Flucht über vermintes Gebiet. Bei der Offensive der Regierungstruppen gegen die tamilischen Rebellen wurden bisher 800 Menschen getötet Au

Die Tiger fliehen mit dem Volk

Nach der massiven Fluchtbewegung, die durch die Offensive der Regierungstruppen im Norden Sri Lankas ausgelöst wurde, gleicht die Tamilen-Hauptstadt Jaffna auf der gleichnamigen Halbinsel einer Geisterstadt. Dies berichten übereinstimmend Vertreter des Militärs und Mitarbeiter der wenigen dort tätigen Hilfsorganisationen. „Die Stadt ist fast leer“, erklärte ein Armeesprecher am Dienstag.

Genaue Informationen über die Situation auf der umkämpften Halbinsel liegen wegen der Pressezensur in Sri Lanka nicht vor. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen vor Ort schätzten die Zahl der Flüchtlinge gegenüber der taz auf über 300.000. Zusätzlich zu den etwa 250.000 Flüchtlingen, die in den vergangenen zwei Wochen nach Jaffna geströmt sind und sich jetzt erneut vor der vorrückenden Armee in Sicherheit bringen, verlassen nun auch die BewohnerInnen ihre Stadt. Vor der Offensive lebten etwa 130.000 Menschen in Jaffna. Die meisten von ihnen fliehen jetzt in Richtung Chavakatchheri im Osten der Halbinsel. Dort gibt es Unterkünfte für Flüchtlinge, die allerdings nur 6.000 Menschen aufnehmen können. Chavakatchheri ist zudem bereits seit Beginn der Militäroffensive am 17. Oktober Ziel von Flüchtlingen aus anderen Teilen der Halbinsel.

Die weitere Flucht in Richtung Süden wird dadurch erschwert, daß auf dem Weg von der Halbinsel aufs Festland mit Booten eine Lagune überquert werden muß, die mehrere Kilometer breit ist. Der Landweg über die sogenannte „Elefantenpassage“ ist vermint und daher viel zu gefährlich. Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Médecins sans Frontières“, die in Point Pedro an der Nordspitze der Insel ein kleines Hospital unterhält, berichten von einer allgemeinen Fluchtbewegung auch aus Orten, in denen keine Kämpfe stattfinden. Die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge wird immer schwieriger. Tamilische Parteien haben gestern an die Regierung in Colombo appelliert, Lebensmittel in den Norden zu schicken.

Der anschwellende Exodus weist darauf hin, daß die Guerillaorganisation „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE) offenbar nicht in der Lage ist, der Massenflucht durch die Ausrufung des Ausnahmezustands Einhalt zu geben. In Colombo heißt es, die Tiger wollten weiteren verlustreichen Kämpfen aus dem Weg gehen. Sie seien damit beschäftigt, ihren eigenen Abzug zu organisieren. Allerdings wäre es verfrüht, aus einer möglichen Eroberung Jaffnas durch die srilankische Armee eine entscheidende Niederlage der LTTE abzuleiten. Die Stadt ist zwar das wichtigste Symbol der tamilischen Identität, aber sie war nie als Verteidigungsbastion ausgebaut worden; wohl auch deshalb, weil die Vororte weit ins flache Hinterland ausufern. Beobachter gehen davon aus, daß die LTTE ihr Hauptquartier immer schon in den Dschungeln südlich der Jaffna-Lagune eingerichtet hat. Diese bilden für eine Guerilla ein ideales Rückzugsgebiet.

Bis zum Mittwoch starben bei den schwersten Kämpfen seit zwei Jahren nach offiziellen Angaben über 600 „Befreiungstiger“, über 200 Soldaten und 40 ZivilistInnen. Die Zahl der verwundeten Rebellen gab ein Militärsprecher mit etwa 2.500, die Zahl verwundeter Soldaten mit 700 an. Die Armee setzte zuletzt auch Kampfflugzeuge und schwere Artillerie ein. Wegen der Pressezensur ist das eigentliche Ziel der Offensive nicht bekannt. Nach der Eroberung der strategisch wichtigen Kleinstadt Neerveli sollen sich die Angriffe auf Ortschaften im Westen gerichtet haben. Sollte sich dies bestätigen, wäre es das erste Mal, daß sich die Kämpfe auf die Stadt Jaffna zubewegen. Bisher hatten militärische Berichterstatter aufgrund der östlichen Stoßrichtung des Angriffs angenommen, daß die Armeeführung die LTTE-Hochburg von ihren wichtigsten Operationsbasen abschneiden, aber einen Angriff auf das dichtbevölkerte historische Zentrum der Tamilen vermeiden will.

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