piwik no script img

Trügerische Zeichen der Normalität in Colombo

■ Großes Mißtrauen zwischen Tamilen und Singhalesen: „Zeigt es den Bastarden“

Der Krieg scheint in Sri Lankas Hauptstadt Colombo weit entfernt zu sein. Autos verstopfen wie immer die Straßen, vor dem Hafen stauen sich die Schiffe, und die beiden 39stöckigen Türme des „World Trade Centre“ glitzern im Sonnenlicht. Zwar waren vor einer Woche in der ganzen Stadt Schießereien zu hören, doch „nur keine Aufregung!“ beschwichtigt ein Hotelangestellter besorgte Besucher. Man dürfe eben nicht nur die politischen Schlagzeilen lesen, sondern müsse zu den Sportseiten weiterblättern: Soeben hat das Cricket-Team Pakistan geschlagen, und das wird in der ganzen Stadt mit freudigem Hupen gefeiert – und Knallkörpern.

Zwar hört man an der Galle Road, die zum Militärflughafen führt, ständig die Sirenen von Ambulanzen, aber das wird irgendwann gewöhnlicher Straßenlärm. Zwar gibt es jetzt Zensur und Militär-Briefings, doch selbst dies wird zur Routine. „Der Krieg“, mußte ein Parlamentarier seinen ZuhörerInnen in Erinnerung rufen, „findet mitten unter uns statt – nicht weit weg irgendwo im Norden.“ Die Einwohner Colombos tun so, als nähmen sie dies erstaunt zur Kenntnis – selbst als nach dem Anschlag auf die Erdöllager am 20. Oktober Rauchsäulen tagelang den Himmel verdunkelten. Doch bei aller Routine und Vortäuschung von Normalität: Kommt man einmal ins Gespräch, werden rasch Emotionen frei. Bei den Singhalesen ist es die wachsende Frustration, gekoppelt mit der zornigen Hoffnung, daß „die Armee es diesen Bastarden endlich zeigt“. Bei den Tamilen wächst die Beklemmung darüber, wie rasch der öffentliche Diskurs über die Friedensinitiative von Staatspräsidentin Chandrika Kumaratunga wieder einer solchen martialischen Sprechweise den Platz geräumt hat. „Plötzlich interessiert nur noch die Frage: Wird die Armee Jaffna erobern oder nicht?“ sagt Neelan Tiruchelvam, Abgeordneter der gemäßigten tamilischen TULF-Partei.

Zum Beweis, wie rasch sich Dinge in Sri Lanka ändern können, weist Tiruchelvam auf die Leichen hin, die im Juli plötzlich aus kleinen Seen um die Hauptstadt emportauchten. Die Tamilen waren nach dem Zusammenbruch des Waffenstillstands Ende April verschwunden, und alle wiesen bei der Obduktion Foltermale auf. Tiruchelvam gibt zu, daß die Regierung sofort eine Untersuchung anordnete und inzwischen dreißig Mitglieder einer militärischen Sondertruppe und der Polizei suspendiert hat. Aber selbst danach wurde eine Reihe von jungen Tamilen von der Geheimpolizei „entführt“; die meisten kamen nach wenigen Tagen wieder frei, doch einige sind bis heute verschwunden, ohne Haftbefehl. Menschenrechtler vermuten, daß sie eingeschüchtert werden sollten, um nicht vor der Untersuchungskommission auszusagen. Ein Indiz dafür: Ihre Köpfe wurden glatt rasiert – genau wie die Köpfe der Toten, die auf dem Wasser schwammen.

Eine öffentliche Auseinandersetzung über diese Vorgänge findet nicht statt. Von Singhalesen hört man immer dieselbe Antwort: Es sei eben schwer, zwischen Zivilisten und LTTE-Sympathisanten zu unterscheiden. Die „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE) tun ihrerseits alles, um einen singhalesischen Backlash zu provozieren. Die jüngste Serie von Massakern in abgelegenen Dörfern an Kindern und Frauen im Süden scheint dem zynischen Kalkül entsprungen zu sein, daß jeder Soldat, der im Süden die Zivilbevölkerung beschützt, im Norden den Belagerungsdruck reduziert.

Noch ist es nicht zu Ausschreitungen gegen Tamilen gekommen, nach Meinung von Diplomaten vor allem deshalb, weil die Regierung der Polizei scharf auf die Finger schaut. Aber gilt dies auch für die Armee? Es gibt Indizien, daß die seit Ende des Waffenstillstandes Narrenfreiheit genießt. Die angeordnete Zensur über alle militärischen Operationen läßt mögliche Verletzungen des Kriegsrechts nicht bekannt werden. Und als sich das Internationale Rote Kreuz im Juli erdreistete, den Angriff der Luftwaffe auf die Kirche von Navaly in der Nähe Jaffnas öffentlich zu verurteilen, entfesselte die Regierung eine kurze und heftige Kampagne gegen die Organisation. Regierungsvertreter erklären, die Präsidentin müsse mit solchen Gesten Druck ablassen, um sich bei der singhalesischen Mehrheit nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie komme den tamilischen Extremisten zu sehr entgegen.

Von der großangekündigten Verfassungsreform zur Föderalisierung des Landes – der politischen Antwort auf die Separatisten – ist im Kriegsgerassel nichts mehr zu hören. Der Tamile Tiruchelvam, Mitautor des Verfassungsentwurfs, ist ohnehin der Meinung, daß es eine Illusion sei, die LTTE „an den Verhandlungstisch bomben“ zu können. Letztlich habe die LTTE ihre Verhandlungsbereitschaft nie aufgegeben.

Diese Meinung wird von anderen tamilischen Parteien in Colombo nicht geteilt. Douglas Devananda, Chef einer dieser Pateien, die heute die Regierungskoalition unterstützt, sagt, die LTTE habe „nur zwei Ziele: ein unabhängiges Eelam, und dies unter Kontrolle der LTTE. Wer sich dagegenstemmt, wird aus dem Weg geräumt.“ Devananda weiß, wovon er redet. Anfang Oktober wurde sein Haus von Unbekannten mit Granaten und Maschinengewehrfeuer angegriffen. Fünf seiner Leibwächer wurden erschossen.

Dagegen begegnet man unter gutsituierten Tamilen einer widerwilligen Bewunderung für die „Tiger“. Sie ist gekoppelt mit dem Mißtrauen, daß eine siegreiche singhalesische Mehrheit ihre Versprechen einer tamilischen Autonomie schnell vergessen würde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen