„Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras“

■ Frankreich vor dem Internationalen Gerichtshof: Alle Waffen müssen erlaubt sein – auch Atomwaffen. Außerdem sei die Verhandlung ohnehin unzulässig

Den Haag (taz) – Die französische Regierung hat gestern vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag bestritten, daß der Einsatz oder die Drohung mit Atomwaffen im Widerspruch zum Völkerrecht stehe. Der Einsatz von Atomwaffen unterscheide sich nicht wesentlich vom Einsatz anderer Waffen. „Es ist unmöglich, einfach so einzelne Waffen zu verbieten“, so Frankreichs Vertreter Marc Perrin de Brichambaut. Im Verteidigungsfalle müßte seinem Land die Verwendung aller Waffen erlaubt sein.

Zuvor hatten französische Juristen begründet, warum das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Generalversammlung der Vereinten Nationen angestrengte Verfahren über die Zulässigkeit des Einsatzes von Atomwaffen ihrer Ansicht nach unzulässig oder zumindest unsinnig sei. Die WHO habe gar nicht das Recht, den IGH um ein Gutachten zur Zulässigkeit der Atomwaffen zu ersuchen. „Alle Waffen können tödlich sein. Krieg ist tödlich, die Kompetenzen der WHO fangen aber erst danach an“, erklärte Professor Alain Pellet. Sie solle sich lieber um Gesundheitsschutz und die Versorgung von Kriegsopfern kümmern. Doch auch die Generalversammlung der UN solle die Finger von Abrüstungsfragen lassen. Das sei die Aufgabe des Sicherheitsrates – in dem die fünf Atomwaffenstaaten das Sagen haben.

Der ägyptische Vertreter Georges Abi-Saab konfrontierte das 15-köpfige Gericht hingegen mit einem vehementen Plädoyer für die Abschaffung aller Atombomben. „Wenn wir schon Giftgas verbieten, weil es unterschiedslos Soldaten und Zivilisten tötet, wie können wir etwas anderes für die Atomwaffen fordern?“ Die Versuche der Atomwaffenstaaten, den IGH von einer Bewertung des Einsatzes und der Drohung mit Atomwaffen abzuhalten, verglich Abi- Saab mit dem Versuch Südafrikas, Apartheid in Den Haag nicht zum Thema werden zu lassen. „Ein Kisuaheli-Sprichtwort sagt: Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras.“ Es sei die Aufgabe des IGH, das Gras vor den Elefanten zu schützen – auch wenn das Gutachten der Richter nur ein erster Schritt sein könne.

Die WHO und die Generalversammlung der Vereinten Nationen hatten 1993 und 1994 den internationalen Gerichtshof um ein Gutachten ersucht, ob der Einsatz oder die Drohung mit Atomwaffen im Widerspruch zum Völkerrecht stehe. 23 Staaten werden in dieser oder der kommenden Woche die Chance wahrnehmen, dem Gerichtshof ihre Argumente vorzutragen. Das Gutachten wird gegen Jahresende erwartet. Hermann-Josef Tenhagen