Nur die Leistung zählt

■ Can Özkan – ein Türke als Fußball-Schiedsrichter in Hamburg / Ein Portrait Von Folke Havekost

Die Bilanz des alltäglichen Rassismus fällt für Can Özkan relativ glimpflich aus. „Bisher hatte ich eigentlich Glück“, meint der türkische Schiedsrichter, „vielleicht liegt das auch an meinem Aussehen.“ Keine pechschwarzen Haare und einen dicken Schnauzer, nicht so, „wie der typische Türke eben dargestellt wird“. Ein Schiedsrichter ist ohnehin kein Kandidat für höchste Sympathiewerte. Trägt dieser noch einen türkischen Namen, ist – Schnauzbart hin oder her – für Hohlköpfe der Flachpaß zum Stumpfsinn schnell geschlagen. „,Blöder Türke' oder ,Scheiß Kanaker' kamen schon als Sprüche“, berichtet der 33jährige, „aber da muß man irgendwann mal durch.“

Zwölf Jahre auf norddeutschen Fußballplätzen ließen allerdings auch Zweifel aufkommen. „Es gab sehr viele Momente, in denen ich sauer auf Spieler oder Trainer war, und wenn ich in diesen Augenblicken alleine gewesen wär, hätte ich vielleicht auch geheult“, blickt Özkan zurück, „aber inzwischen bin ich total gefestigt.“ Das Motto „Nicht meckern, sondern pfeifen“, mit dem der Hamburger Fußball-Verband (HFV) um Schiri-Nachwuchs wirbt, paßt zu Özkan wie die Pfeife in den Mund.

Als Spieler 1983 einmal des Feldes verwiesen, absolvierte er während seiner Sperre einen Schiri-Lehrgang, „eher zufällig, nicht aus Überzeugung“. Özkan blieb beim Pfeifen, auch weil er als Spieler nicht mehr so oft eingesetzt wurde. Heute leitet er Begegnungen der Regionalliga, der höchsten deutschen Amateurklasse; in der zweiten Liga steht Özkan an der Außenlinie. Seine Motivation beschreibt er als „Idealismus, so wie bei allen anderen Schiedsrichtern auch“, ohne den Reiz zu verschweigen, „daß man auch dabei ist in diesem Showgeschäft“.

Während in den unteren Ligen der Ausländeranteil bei den Unparteiischen kaum von dem der Gesamtbevölkerung abweicht – nach HFV-Angaben 380 von insgesamt rund 3.000 Schiedsrichtern in Hamburg –, ist Can Özkan neben seinem Kollegen Cengiz Keser vom SV Bergstedt einer der beiden ausländischen Schiedsrichter, die in der Regionalliga Nord Spiele pfeifen dürfen. Man solle das nicht überbewerten, die Schiedsrichterei sei „in erster Linie mein eigenes Ding“. Ein wenig stolz ist er dennoch, gezeigt zu haben, „daß man es auch als Türke schaffen kann“. Auch ohne Quotenregelung habe er sich durchgesetzt. Kein Wunder, daß er eine besondere Ausländer-Förderung für „überflüssig“ hält.

Özkan sieht seinen Werdegang auch als Beispiel für Emanzipation: Seit 26 Jahren lebt der selbständige Kaufmann in Deutschland und versucht, „das Beste aus beiden Nationen für mich zu nutzen“. Dabei hat er sich für eine der geschätztesten Sekundärtugenden entschieden: „Leistungsbereitschaft“, die für Özkan nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch abseits des Rasens zählt: Integration durch Erfolg. Auch mit den rassistischen Sprüchen sei es leichter, wenn man fleißig ist: „Dann haben die Leute nicht mehr die Waffe in der Hand zu sagen: ,Das ist ein Penner.'“ Seine Lebensphilosophie setzt auf Eingliederung, gefüttert von der Logik der Demographie: „In zehn Jahren gibt es hier einen türkischen Minister und in dreißig Jahren vielleicht einen Bundeskanzler, der Ahmed Öztürk heißt.“

Wahrscheinlicher ist aber, daß Can Özkan der erste türkische Schiedsrichter in der Bundesliga sein wird. „Ich weiß nicht, ob ich es schaffe“, zweifelt der Mann, der das DFB-Regelwerk einmal ins Türkische übersetzt hat, „aber ich hoffe, daß in zehn Jahren auch ein Bundesliga-Schiedsrichter aus der Türkei oder woanders herkommt.“ Vorerst kann sich Özkan zwischen Kiel und Osnabrück für die erste Liga empfehlen. Erst kürzlich, nach dem Drittligaspiel zwischen Celle und Oldenburg, in dem er fünf rote Karten, davon vier an die Gäste, verteilte, riefen am nächsten Tag ein paar Oldenburger an und wollten ihn „besuchen“. Doch aus zwölf Jahren Schiedsrichterei gibt es auch andere Beispiele. Vor sechs oder sieben Jahren beschimpfte ihn ein Zuschauer mit den Worten „Schiri, geh bloß nach Bosporus zurück“. Özkan ließ sich nicht provozieren, sondern ging in einer Spielpause zur Seitenlinie und antwortete dem Rassisten: „Ja, werde ich auch – im Urlaub.“ Den 30 oder 40 herumstehenden Leuten hätte das imponiert. Sie hätten den Schreihals anschließend „zur Vernunft gebracht. Ich habe mich natürlich gefreut, daß so etwas nur einzelne rufen und nicht die Mehrheit.“

Illusionen macht sich Özkan, der auch Vorsitzender seines Vereins Harburg Türksport ist, dennoch nicht: „Wenn man sieht, was in der Welt passiert, sind meine Ziele nur ein ganz kleiner Bereich“, sagt er, der seine Position, trotzdem nutzen will: „Als Zeichen an andere Ausländer, nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen.“