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■ NormalzeitDie Quadratur des Kreises

So nennt der russische Anarchist und Mitbegründer der „Partei der Arbeit“, Boris Kagarlkitzki, seine sarkastische Geschichte als Deputierter im neuen Moskauer Sowjet, die von den Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus niemand so witzig schreiben könnte. Dabei gibt es hierzulande kaum weniger Kreisquadraturen. Wenn der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank darauf drängt: „Wir müssen mit Optimismus nach vorne schauen!“, aber gleichzeitig fordert: „Wir müssen das Rad hier zurückdrehen... Das würde sich dann auch auf die Beschäftigung auswirken.“

Trotz solcher Zumutungen sind die Arbeiter und Gewerkschaften nicht in der Lage, die Räder einfach zum Stillstehen zu bringen: Sie schwanken ähnlich hilflos wie die Zünfte zu Beginn der Industrialisierung. Gerhart Lux, AEG-Betriebsrat in Marienfelde, meint: „Es ist eine Katastrophe für die Arbeitsmotivation, wenn man jahraus, jahrein zu hören kriegt: ,Du verursachst nur Kosten, eigentlich müßte dein Arbeitsplatz längst weg!‘“ Man sollte mal einige Arbeiter bitten, dieses Double-bind aus permanenter Demotivierung und periodischer Antreiberei im Detail zu erzählen! Dazu paßt, daß es nur kleinsten manufakturähnlichen Grauzonen-Initiativen derzeit gelingt, sich durchzuwurschteln, während die joghurtfarbenen Großinvestitionsprojekte eines nach dem anderen scheitern.

Den Anfang machte im Anschluß an die Pleite des hessischen Baulöwen Schneider die Interhotel-Kette, nachdem die Frontschweine der Deutschen Bank, Guttmann und Groenke, sie ihrem Trigon-Club einverleibt und mit ihrem „Ciao“-am-Ku'damm-Lebensgefühl vergeblich in die Gewinnzone modernisiert hatten. Jetzt kontrolliert ein Vertreter der Deutschen Bank ihre rausgehenden Schecks, und den Privatjet mußten sie einmotten.

Als Schneider neulich die Deutsche Bank als mitverantwortlich bezeichnete, ließ DB- Chef Hilmar Kopper kurz mitteilen: „Herr Schneider ist nicht satisfaktionsfähig!“ Dann erwischte es den bayrischen Hauptstadt-Investor Erhard Härtl, der das Glühlampenwerk Narva zu einem Dienstleistungscenter umrüsten wollte: Auf halbem Weg ging ihm das Geld von der Bayerischen Hypobank aus. Diese beauftragte nun den Heidelberger Frontman der Dresdner Bank, Roland Ernst, eine weitere Milliarde dort, an der Warschauer Brücke, zu verplanen. Ein Sprecher von Roland Ernst, Gisbert Dreyer, versprach trotz fliegenden Investorenwechsels konzeptionelle Kontinuität: „Da gibt's für uns nur eines: Augen zu und durch.“

Besser abgesichert sind die Roland-Ernst-Objekte in Treptow (für die Allianz), am Potsdamer Platz (für ABB) und die „Hackeschen Höfe“ (als Kreativcenter). Auf seinem Beelitzer Heilstättengelände, so groß wie der halbe Tiergarten, nur bereits seit 1895 bebaut, will die in Teltow ansässige und dort ebenfalls klotzende Roland-Ernst-Gruppe ein („Augen zu“-)Reha-Zentrum errichten. Nach Härtl kam jedoch erst einmal der Kölner Großinvestor „Fundus“ in die Bredouille, dessen Objekte, zum Beispiel die alberne „Riesen-Pyramide“ an der Landsberger Allee, einfach nicht zu vermieten sind.

Auch viele „Konsumtempel“ (Focus) gingen ein: Die Kaufhalle AG machte die Hälfte ihrer 40 Ost-Standorte wieder zu, auch von den 13 Häusern der Horten- Konsument-Warenhaus GmbH bleibt kaum eines erhalten: In Gotha und Dessau ist schon Feierabend, in Halle, Stralsund und Frankfurt (Oder) wahrscheinlich bald. Selbst bei den Supermärkten, in den Händen von zwei, drei westdeutschen Konzernen, sieht es schlecht aus: Wo möglich, weichen zumindest die Berliner Kunden mehr und mehr auf kleine Läden aus. In Oberschöneweide und anderswo wurde bereits, entgegen der allgemeinen Tendenz, die Ladenschlußgesetze aufzuheben, der lange Donnerstag abgeschafft.

Eine von der Kaiser's-Kette durchgeführte Standortstudie ergab dort, daß von den 1993 arbeitslos Gemeldeten jetzt über 80 Prozent Sozialhilfeempfänger sind. Das alles ist nicht wirklich witzig, hat aber auch was mit einer Quadratur des Kreises zu tun, insofern man bei dieser Implantierung hohlsten „Lebensstils“ nach Art eines Flächenbombardements auch noch konsumistische Fröhlichkeit von den davon Betroffenen erwartet. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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