Zwischen den Rillen
: 33 Minuten Hintergrundfolie

■ Das Leben nach Pixies, Breeders, Belly etc.: „Pacer“ von Kim Deals Band The Amps

Die Geschichte der Amps ist auch und vor allem die Geschichte von Familien- und Bandbeziehungen, was ja oft dasselbe ist. Kim Deal erwarb sich Narrenfreiheit als Komponistin von „Gigantic“, des einzigen Pixies- Songs, der es wirklich ins Langzeitgedächtnis geschafft hat. Nach dem Ende der Pixies tat sie sich mit Tanya Donelly von den Throwing Muses zu den Breeders zusammen, nur um schnell von ihr verlassen zu werden, damit die mit Belly viel Erfolg haben konnte. Kims Zwillingsschwester Kelley Deal ersetzte Donnelly, bevor sie in der Rehabilitation verschwand. Seitdem existieren die Breeders nur mehr zwischen Hoffen und Bangen. Das Zwischenzeit-Projekt The Amps setzt sich zusammen aus Kim Deal, dem Trommler der Breeders und zwei lokalen Größen aus Dayton, Ohio, wo auch der Großteil von „Pacer“ entstanden ist.

Und als wollte Kim Deal all die Geschichten abschütteln, die tatsächlich ja Geschichte geworden sind, seit Independent Abschied genommen hat vom Underground, versuchte ihre Plattenfirma, Deal ein Inkognito als Tammy Ampersand zu verschaffen. Der Versuch blieb halbgar im Ansatz stecken und war noch nicht mal sonderlich lustig. Musikalisch passiert den Amps ähnliches. Zwar präsentiert sich diese Platte beim ersten Hören als eilig hingeworfenes Bemühen, mal was ganz anderes zu machen (so sucht man auf dem CD-Cover vergeblich nach einer Besetzungsliste), aber wer kann schon aus seiner Haut (der Hinweis „all songs written bei Kim Deal“ fehlt dann doch nicht).

Die Unentschlossenheit mündet in eine Platte, die alles will, aber nicht von ganzem Herzen. Eine Platte, die zwar alles könnte, aber warum denn? Das äußert sich in der Unfertigkeit der Aufnahmen, dem bewußten Nicht- zu-Ende-Spielen, dem Skizzenhaften der Songs, die dann trotzdem wieder mit vielfältigen Erinnerungen und Querverweisen spielen. Da gibt es den Titelsong „Pacer“, der auch von Belly sein könnte, „Bragging Party“, das wie eine Pixies-Karikatur klingt, und die Breeders scheinen immerzu wie eine Hintergrundfolie durch die kurzen 33 Minuten. Logisch, schließlich waren die Breeders die einzige von Deals bisherigen Bands, bei denen Deal die volle und alleinige Verantwortung hatte. Jeder der Songs scheint ein Vorbild in der Erfolgsgeschichte von Independent zu haben, nur um am Ende sagen zu können: Guckt mal, so roh, so unbehauen und so ursprünglich klang das mal. Und wirkt darin so durchdacht und wenig emotionell, wie es ein solcher Gedanke suggeriert.

Deshalb kann man diese Platte auch als kleinen Exkurs ins Schrammeln lesen. Ins amerikanische, rockige Schrammeln wohlgemerkt. Im Gegensatz zum englischen, poppigen Schrammeln, dem man sich auch jenseits des großen Teichs zuletzt immer mehr angenähert hatte. Selten nur wird mehr als ein Riff bemüht, immer ist der Klang der Gitarren schludrig und verwaschen. Selbst in einem Stück wie „Empty Glasses“, das zeitweise so durchwühlt ist wie ein Metallriff nach einem bösen Autounfall, kehrt dann doch rechtzeitig das demokratische Alle-auf-einmal zurück. Was trotz klanglicher Ähnlichkeiten in krassem Gegensatz zum individualistischen Low-Fi-Gedanken steht.

Deal hat sich nicht nur Zeit ihres Post-Pixies-Lebens um eine musikalische Abgrenzung von Ober-Pixie Frank Black bemüht, sondern auch schon während der Pixies, als ihre Songs bereits immer aus dem Bandrahmen fielen. Das Splittern und Zittern des alten Kumpels hat sie nie so recht nachvollziehen können, eher schon marschierten ihre Songs los, blieben stehen und rannten dann plötzlich, während die Melodien, die sie sang, verdammt selbstsicher in sich ruhten. Vielleicht war's auch nur weiblich und eben nicht so fickrig und nervös wie bei Black. Weshalb Deal selbst unter Sessionbedingungen auch jetzt noch eine halbwegs zeitgemäße Platte gemacht hat.

Das liebste Stilprinzip auf „Pacer“ ist das Versprechen: große Harmonien, die nicht fortgeführt werden; kleine Melodien, die abbrechen; Songs mit so vielen Ideen, die anderen für ganze Doppel-LPs gereicht hätten. Nur ein einziger Song ist dabei, der wirklich zu Ende gedacht wurde. Ob „She's a Girl“ gelungen ist, ob Deal auch alle anderen hätte so haben wollen, oder ob er mißlungen ist, weil er nichts von der Unfertigkeit der anderen wissen will, bleibt hoffentlich auf ewig ihr Geheimnis. Denn „She's a Girl“ hat alles, was ein Popsong braucht. Und hat nicht nötig, zu fragen nach dem Wieso und Warum und Wohin, sondern steht einfach da und ist wundervoll. Thomas Winkler

The Amps: „Pacer“ 4aD/RTD