Beim nächsten Mal besser

■ betr.: „68er im Dienste der Dikta toren“, taz vom 20. 10. 95

Zweierlei scheint mir, was die juristische Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit anbelangt, aus meiner ost-bürgerbewegt-linken Sicht klar zu sein: zum einen, daß die unterdrückerischen, zum Teil sogar terroristischen Handlungen der einstigen Herrschenden in diesem Lande möglichst geahndet werden sollten, zum anderen, daß dies mit Hilfe einer legalistisch orientierten Rechtsstaatlichkeit nicht zu erreichen ist. Hierin stimme ich Werkentin zu. Ebenso in seiner Kritik an jenen West-Linken, die für diese Herrschenden juristische Entschuldigungsgründe vorbringen, die sie zuvor für die Täter der NS-Zeit nicht gelten lassen konnten.

Seiner Kritik an der Verteidigungspraxis Heinrich Hannovers kann ich jedoch nicht folgen: Als Verteidiger muß er sich natürlich bemühen, für seinen Mandanten das geltende Recht in Anspruch zu nehmen, und da besteht doch ein von Werkentin in seinem umfänglichen Beitrag sonderbarerweise an keiner Stelle ausdrücklich erwähnter Unterschied zwischen den für die NS-Zeit und für die DDR geltenden Normen. Im Falle des Dritten Reiches hatten sich die Sieger entschlossen, bei ihrer Rechtsprechung auf die vorherige Rechtslage keine Rücksicht zu nehmen, während die Sieger zwar nicht vom Herbst 89, wohl aber vom März 90, beschlossen hatten, dies zu tun, und so ist es auch im Einigungsvertrag festgehalten worden. [...]

Nun muß ich mir aber diese offizielle Sicht und Normsetzung nicht zu eigen machen, und das führt mich zu einem Problem, das, so denke ich, hier das eigentliche ist: Eine Siegerjustiz auszuüben, die nicht danach fragt, ob Unterdrückungsakte juristisch abgesichert waren oder nicht, dazu ist nur das betreffende siegreiche Volk berechtigt. Es ist aber zu DDR-Zeiten verabsäumt worden, eine solche Revolutionsjustiz, die im übrigen nicht mit kurzem Prozeß und Rübe ab zu verwechseln ist, zu installieren, und zwar nicht zuletzt aufgrund des legalistischen Rechtsverständnisses von Teilen der BürgerInnenbewegungen. Man wolle doch die neuen, besseren Zeiten nicht auf die alte Weise, also mit neuem Unrecht beginnen, hieß es damals. Und heute noch einmal spezifische Ost-Strukturen aufzubauen, die legitimiert wären, das Versäumte nachzuholen, dürfte wohl unmöglich sein. Soll jetzt etwa die BRD-Justiz, bei Werkentin scheint dergleichen anzuklingen, zu einer solchen Revolutionsjustiz berechtigt sein? Die Justiz eines Systems (ja, ja, ich weiß ... die Ausdifferenzierung der Teilsysteme in der „modernen Gesellschaft“ ... aber so gänzlich getrennt sind Wirtschaft und Justiz wohl auch heute nicht), daß, wenn ich seine globalen Wirkungen betrachte, mindestens ebenso verbrecherisch, wenn nicht noch erheblich verbrecherischer ist als das einst in der DDR herrschende? So unbefriedigend es auch sein mag, unter dieser Voraussetzung verzichte ich lieber auf die Forderung nach außerordentlicher Gerichtsbarkeit für die einstige DDR-Obrigkeit und ihre Handlanger. Andere, die in Konflikten mit dieser Obrigkeit nicht so glimpflich weggekommen sind wie ich – mal eine kurzzeitige Verhaftung nebst Verhör, später Arbeitsplatzverlust und Berufsverbot – oder die die jetzt herrschenden Zustände anders beurteilen, werden vielleicht zu anderen Schlußfolgerungen gelangen; ich sage mir: Beim nächsten Mal besser. Erhard Weinholz, Berlin