Grüner Strom aus der Steckdose

■ Mit der Freigabe des Strommarkts können SchwedInnen mit ihrer Kaufentscheidung den Kraftwerksbau beeinflussen

Stockholm (taz) – Ab kommendem Jahr können die SchwedInnen zeigen, was ihnen garantiert „AKW-freier“ Strom wert ist. Mit der vollständigen Freigabe der Anbieterkonkurrenz auf dem Elektrizitätsmarkt 1996 wird eine Vielzahl von Stromlieferanten um die Gunst der Industrie und der privaten Haushalte buhlen. Die schwedische Naturschutzvereinigung (SNF) trug dieser Entwicklung in dieser Woche Rechnung: Ihre geschätzte Umweltmarke „Bra miljöval“ (Gute Umweltwahl) gibt es ab Januar auch für Strom.

Die Ehrenmarke „grüner Strom“ dürfen alle Stromlieferanten in ihrer Werbung benutzen, die ausschließlich umweltfreundlich erzeugten Strom im Angebot haben. Dieses Label ist auch für die Industrie von großer Bedeutung: Sie bekommt nämlich nur dann ein Umweltsiegel für ihre Produkte, wenn der gesamte Herstellungsprozeß ökologieverträglich vonstatten ging. „Die Konsumentenmacht“, so hofft SNF-Vorsitzender Tomas Kaberger, „wird einen großen Teil der Stromproduktion auf regenerierbare Energiequellen umlenken.“

Nicht unumstritten war bei Schwedens größter Umweltschutzvereinigung, was „grüner Strom“ sein sollte. Die SNF war Anfang dieses Jahrhunderts zum Kampf gegen Wasserkraftwerke gegründet worden, die weite Teile der nordschwedischen Flußlandschaft zerstört haben.

Alte Umweltzerstörung ist jetzt ökologisch okay

Trotzdem gilt Strom aus allen vor 1995 gebauten Wasserkraftwerken nunmehr als „grün“, da es unsinnig wäre, die Kraftwerke und Staudämme abzureißen – abgesehen davon, daß ansonsten ein Ausstieg aus der Atomkraft illusorisch wäre. Immerhin werden so fast 50 Prozent des schwedischen Stroms erzeugt.

Nicht „grün“ sind dagegen alle neuen Wasserkraftprojekte und neben den AKW auch die mit Kohle, Gas und Öl befeuerten Meiler. Grundsätzlich „grün“ sind hingegen Windkraftwerke und aus Biomasse hergestellter Strom, falls die Verbrennungsasche wieder auf dem Herkunftsboden landet.

Auch wenn rund die Hälfte des derzeit in Schweden produzierten Stroms damit als „grün“ gelten kann, erfüllt bislang nur ein größerer Lieferant die Voraussetzungen des SNF: die „Graningeverken“. Alle anderen bedeutenden Anbieter haben zumindest auch Atomkraft im Angebot. Tomas Kaberger vom SNF rechnet damit, daß sich neue Anbieter auf den grünen Markt spezialisieren werden: „Die Verbraucher werden vermutlich bereit sein, für atomfreien Strom einen höheren Preis zu zahlen. Das bedeutet, daß Kohle, Gas und Atom immer unrentabler für die Anbieter werden.“ Reinhard Wolff