Haben Pauker als Staatsdiener ausgedient?

■ Über verbeamtete Lehrer zwischen Bequemlichkeit und pädagogischer Freiheit streiten sich Peter Braasch (Deutscher Lehrerverband) und Hans-Peter de Lorent (GEW)

taz: Müssen Lehrer eigentlich Beamte sein? Noch sind von 17.447 Lehrern, Sozialpädagogen und Erziehern an Hamburger Schulen knapp 16.000 verbeamtet. Doch auch Schulsenatorin Rosemarie Raab meint, daß das Angestellten-Verhältnis dem Selbstverständnis der Lehrer viel näher käme. Ist der Beamtenstatus für Lehrer antiquiert?

Peter Braasch: Ich kann daran nichts Antiquiertes finden. Auch das Berufsbeamtentum hat sich zur Dienstleistung hin gewandelt. Im übrigen hindert das Berufsbeamtentum nicht daran, neue Wege zu beschreiten.

Hans-Peter de Lorent: Lehrer müssen nicht Beamte sein. In vielen Bundesländern gibt es Lehrer als Angestellte, vor allem in den neuen Bundesländern. Und die unterrichten nicht schlechter als verbeamtete Lehrer.

Müßten Sie als Gewerkschafter, der doch die Interessen der Mitglieder vertreten soll, nicht für das Beamtentum mit seinen Vorteilen sein?

de Lorent: Nein. Im Beamtengesetz gibt es einige Knebelungsaspekte. Zum Beispiel ist der Beamte zur vollen Hingabe an den Dienstherrn verpflichtet. Die Pflichtstundenerhöhung, wie es sie in Hamburg gegeben hat, wäre mit Angestellten so nicht machbar. Da müßten Tarifverträge mit den Gewerkschaften ausgehandelt werden. Im übrigen bleiben ja alle beamteten Lehrer Beamte.

Braasch: Aber die Praxis sieht doch ganz anders aus. Diejenigen, die jetzt als angestellte Lehrer an die Schulen kommen – und das ist ja das Schicksal der neuen Lehrer erst einmal – die haben erheblich unsicherere Verhältnisse. Und unsichere Beschäftigungsverhältnisse für neuangestellte Kollegen könnten gemeinsames Interesse für Behörde und Gewerkschaften sein. Wir wünschen sie nicht. Von den Politikern ist das so gewollt, weil sie Lehrer dann rausschmeißen können, wenn sie nichts taugen.

Wäre das aber nicht für Schüler und Lehrer von Vorteil?

Braasch: Nach einer guten Ausbildung dürfte niemand eine Belastung für die Schule sein. Man ist nach dem Examen zwar vielleicht noch nicht vollkommen, aber deshalb sollte die Schulbehörde verpflichtende Angebote zur Weiterqualifizierung machen.

Viel zu wissen heißt ja noch nicht, dieses auch gut und interessant vermitteln zu können.

de Lorent: Hier stellt sich die Frage des Praxisbezugs der Lehrerausbildung. Es kann ja nicht angehen, daß jemand zum ersten Mal ernsthaft mit Kindern zu tun hat, wenn er bereits Lehrer ist. Ein anderer Aspekt ist, daß es eine Reihe von Kollegen gibt, die gute Lehrer gewesen sind, die aber im Laufe ihres Berufslebens ausgebrannt und psychisch angeknackst sind. Diese sollten in Bereichen eingesetzt werden, wo sie weniger mit Kindern zu tun haben.

Braasch: Der Dienstherr müßte auch in der Lage sein, die Lehrerinnen und Lehrer, deren Durchschnittsalter bei etwa 50 Jahren liegt, zu motivieren. Statt dessen verhält sich die Behörde kontraproduktiv, indem sie die Lehrer schlecht macht. Schule neu zu gestalten, wie jetzt mit dem Schulverfassungsgesetz geplant, kann nur gelingen, wenn man die Beteiligten auch motivieren kann.

Veränderung der Schulrealität notwendig

de Lorent: Das setzt aber auch voraus, daß Ihre Organisation bereit ist, diese Veränderung der Schulwirklichkeit zu realisieren.

Wäre die Entbeamtung eine Lösung gegen das hohe Durchschnittsalter bei Lehrern?

de Lorent: Da würde sich nur etwas ändern, wenn sich der öffentliche Arbeitgeber weitsichtig verhielte und regelmäßig Kollegen einstellte.

Braasch: Die wirklichen Pensionierungsschübe stehen erst in drei bis vier Jahren an.

de Lorent: 750 Pensionierungen pro Jahr, das sind, da es sich nicht immer um volle Stellen handelt, 1000 Leute, die eingestellt werden müssen.

Sind Beamte zu teuer für den Staat?

de Lorent: Allen Untersuchungenzufolge ist das großer Quatsch. Kurzfristig würde der Staatshaushalt durch Angestelltenverhältnisse nicht entlastet, im Gegenteil. Was die Politiker wollen, ist etwas ganz anderes. Sie wollen ein Hire-and-Fire-Prinzip einführen. Aber nicht mit der GEW. Unsere Bedingungen sind tariflich gesicherte Eingruppierungen und Arbeitszeitregelungen. Darüber führt die GEW Gespräche mit den Ministerpräsidenten der Länder.

Braasch: Ich meine, die GEW hat dafür überhaupt kein Mandat der Lehrer. Deren deutliche Mehrheit – und auch die deutliche Mehrheit der GEW-Mitglieder – möchte doch Beamte sein, weil es doch auch gewisse Vorteile hat. Im Ruhestand bekommt ein Beamter mehr als ein vergleichbar eingruppierter Angestellter. Wir haben die Verpflichtung, auch gegenüber denjenigen, die neu eintreten, ein System zu erhalten, das für die Schule und die Beschäftigten das bessere ist.

Aber warum soll es für die Schule das bessere System sein?

Braasch: Weil ich es unter anderem für einen gesellschaftspolitischen Wert halte, daß die Schule ein Bereich ist, in dem nicht auf Kosten der Schüler und der Eltern gestreikt werden kann. Ein Streik wäre auch nicht im Interesse der Beschäftigten. Wenn man sich in Europa mal umschaut, wo Lehrer ein Streikrecht haben: Die haben sich alle nach „unten“gestreikt.

De Lorent: Für Hamburg gilt das ja schon einmal nicht. Wir haben 1988 den ersten Streik von Beamten in der Bundesrepublik durchgeführt, im Rahmen der Tarifrunde um Arbeitszeitverkürzungen. Der Effekt war unter anderem, daß die Grund- und Hauptschullehrer eine Stunde weniger arbeiten mußten, was nun aber wieder zurückgenommen wurde.

Man sollte aber auch nicht das Schreckgespenst an die Wand malen, daß Lehrer jetzt ständig streikten. Der größte Verursacher von Unterrichtsausfall sind nicht die streikenden Lehrer, sondern der öffentliche Arbeitgeber mit seiner staatlich verordneten, zu knappen Personaldecke.

Fragen: Patricia Faller