Die taz zieht an den Fluß

■ Zum Jahresende wird an der Schlachte ein „Medienhaus“ entstanden sein – die Bremer taz ist dabei

Große Entwicklungen sind anzuzeigen: Die taz zieht es an den Fluß – und näher zu Gott. Ab 1. Januar wird unsere kleine Zeitung direkt vom Weserstrand kommen. Die neue Adresse: Erste Schlachtpforte, direkt unterm Dach juchhe, nahe am Himmel und in unmittelbarer Nachbarschaft zur Martinikirche mit ihrem Großprediger Motschmann.

Und da werden wir nicht alleine Büro nehmen. Die notorisch menschenleere Schlachte wird eine attraktive Ecke bekommen. Wir präsentieren: Das Medienhaus, mit Zeitungsredaktionen, Korrespondentenbüros, einer neuen Radio- station und einem zum vollkommenen Italiener mutierten Projekt „Mediencafé“.

Stadtplanung an der Schlachte

An der Schlachte wird bisher vor allem von der Stadt gebaut. Die spärlichen BesucherInnen dürfen über teuren indischen Granit wandeln, ihren Blick frei über den Fluß schweifen lassen, weil die bedeutungslos gewordene Kaimauer zum Teil abgetragen worden ist, sie können sich auf den neuen Terrassen-Treppen, die auf der Höhe der Teerhof-Brücke hinunter zum Uferweg führen, niederlassen – auf der Wasserseite gibt es also wieder was zu sehen, nur wenn sie den Kopf drehen, sehen sie praktisch nichts. Außer einer zwar wunderschönen alten Häuserzeile, die aber bis auf ein paar eilende Angestellte gar niemanden interessiert. „Stadt am Fluß“ ist der stadtarchitektonische Leitgedanke auch in diesem Bauabschnitt. Und wenn der Teerhof sich etwas mehr mit Leben füllt und wenn die Martinistraße, die als vierspurige Verkehrsschneise die City von der Schlachte trennt, endlich verkehrsberuhigt ist, dann wird die Stadt wirklich ein Stück „ihres“ Flusses zurückerobert haben. Kirchenstraße und Langenstraße sind schon darauf vorbereitet.

Doch noch tun die Geschäftshäuser an der Schlachte so, als wollten sie mit der neuen Entwicklung nichts zu tun haben. Ein paar Anwälte residieren dort, ein paar Schiffsmakler, und wo einmal mit den „Bremer Nachrichten“ ein Stück Pressevielfalt lebte (und unterging), ist heute nur ein kleiner Verlag geblieben, mangels wirtschaftlichen Lebens wurden einige Etagen an die Wirtschaftsverwaltung des Senats vermietet. Der „Boulevard Schlachte“ lebt noch nicht, nur die regelmäßig und penetrant kontrollierenden Politessen verhindern, daß es reiner Parkplatz wird. Das Gastronomie-Schiff „Welle“ konnte selbst mit seinem Soft-Erotik-Varieté finanziell nicht überleben. Nur samstags drängeln sich die Menschen, da überfällt im Sommer der Kajenmarkt das tote Pflaster mit Korb-Ständen, holländischen Blumen und Pommes.

Baustelle Erste Schlachtpforte

Doch an der östlichen Ecke der Schlachte regt sich nun doch der Wille zur Veränderung. Vier Stockwerke hoch ragt ein Baugerüst in den Himmel, holländische Bau-Trupps sind seit Wochen am Werk, Dachdecker, Elektriker, Glaser und andere Einrichter drängen sich mit ihren LKW zum Ein- und Ausladen auf dem engen Platz der „Ersten Schlachtpforte“. Mehr als eine Million Mark werden die verschiedenen „Parteien“ in das Objekt gesteckt haben, wenn hier alles fertig ist: Um die Jahreswende soll hier das „Medienhaus an der Schlachte“ entstehen.

Schon vor Monaten waren hier Bremens Kammerphilharmoniker mit ihrer Marketing-Abteilung eingezogen. Die ahnten damals noch nichts von dem auf sie zukommenden Baulärm und Veränderungswillen. Im dritten Stock erinnert ein Schiffsmakler daran, daß das Gebäude seit Jahrzehnten ein Ort war, an dem Seehandel organisiert wurde. Zwei von sechs Etagen, alle anderen aber werden im neuen Jahr runderneuert sein.

Das italienische „pianterreno“

Im Frühjahr, wenn die Sonne scheint, werden es auch die letzten sehen. Dann werden Tische und Stühle auf dem Schlachte-Fußweg stehen. Das Erdgeschoß des Medienhauses wird einem „Mediencafé“ gehören. So zumindest war der Arbeitestitel, bevor ein Profi des Gewerbes sich der Idee annahm. eine richtige Osteria soll es nun weden, mit gutem Frühstück, Mittagstisch und feiner italienischer Küche am Abend – Fisch und Holzkohlengrill und einem Salzwasser-Aquarium wie ein Fernseh-Bildschirm für die Teppich-Muschel. Doch die „Medien“-Idee hat die Italienisierung überlebt. Selbstverständlich wird es dort reichlich internationale Presse zu lesen geben. Und wenn die Weser so hoch steht wie gestern, dann kann der Schlachte-Flaneur, der hier hängen geblieben ist und seinen Cappuccio schlürft, über die historische Mauer hinweg sogar die Schiffe vorbeituckern sehen...

Für die hochfliegenden Pläne der Stadtplaner, die Schlachte zu „beleben“, wird dies der erste Erfolg sein und auch die Touristen in den Eingangsbereich der Schlachte locken.

Die „Dealer“ von der Kammerphilharmonie

Im ersten Stock – s.o. – sitzen und dealen schon die Kammerphil- moniker – Bremens junges und außerordentlich erfolgreiches privates Orchester. Es wird nicht gepaukt und trompetet an der Schlachte, sondern hier sitzt Vera van Hazebrouk, Managing Director, mit ihrer Crew und sorgt dafür, daß Marketing und Kasse stimmen.

Multifunktional: Stadtradio „Weserwelle“, Kreiszeitung, Nordwest-Zeitung

Eins drüber werden die lokalen Redaktionen der Syker Kreiszeitung und der Nordwest-Zeitung einziehen. Vor allem aber wird von dort Bremens erstes privates Hörfunk-Programm gesendet, das unter langanhaltenden Preßwehen geborene Kind der eigentlich auf öffentlich-rechtliches Monopol abonnierten bremischen Medienpolitik. Nur dreieinhalb Stunden groß ist das Fenster, das sich für privaten Hörfunk öffnen darf, aber immerhin eine erster Spalt. „Radio Zora“ hieß die erste Idee nach einem Bremen-Funk, die suchte dann unter dem Titel „Stadtradio“ nach festem Boden im deutschen Vereinsrecht und finanzstarke Partner. Der wurde schlußendlich in der Kreiszeitung aus Syke gefunden, und damit mutierte das Projekt zur „Weserwelle“ – zumindest der Fingerzeig auf den Fluß und der Standort an der Schlachte verdankt sich diesem Namen. Die Studios entstehen in diesen Tagen in der zweiten Etage des Medienhauses, der Sendebeginn wird noch nicht verraten, der endgültige Name des Programms auch nicht.

Die Bremer taz zieht an die Schlachtpforte

In die oberste Etagen des Geschäftshauses, also unterm Dach und direkt bei IHM, wird die Bremer taz einziehen, zum neuen Jahr soll die Lokalausgabe unter der neuen Adresse produziert werden. Wo die Politik-Redaktion über Senatsvorlagen brüten wird, da nimmt in Bürogemeinschaft auch associated Press, besser bekannt als „ap“, mit ihrem Bremer Korrespondentenbüro ihren Arbeitsplatz.

Dort sieht es derzeit noch aus wie auf einem Schlachtfeld. Beinahe alles muß um- und eingebaut werden. Licht sollen die Redaktionsetage dort werden, mit direkter Anbindung an das Tuckern der Weserkähne, an den Klang der Glocken, an den frischen Wind, der an der Weser weht, und mit großem Überblick über die Stadt. Mit einem einfachen Augenglas kann man von dort aus den Bewohnern des Rathauses in die Karten gucken...

Mittags wird die Erste Schlachtpforte dann vollends zum Medienhaus – „pianterreno“, beim Italiener. K.W.