„Ganz große Tragik“

■ St. Stephani darf sich seinen neuen Kantor nicht mehr leisten/ Morgen Kirchenkonzert

Als Kantor und Landeskirchenmusikdirektor Erich Ehlers an St. Stephani in diesem Sommer pensioniert wurde, war eine neue A-Stelle zu besetzen. „A“ in der evangelischen Kirche: die höchste Qualifikation in der Ausbildung, die beste Bezahlung und der größte Veranstaltungsetat. Punkte, errechnet aus Gemeindemitgliederzahlen, berechtigen die jeweilige Kirche zu einer A-Stelle, in Bremen gibt es neun. Aber beim neuerlichen Punktezählen fehlte in St. Stephani ein einziger Punkt. Dem jungen Kantor Ulfert Smidt („ein begnadeter Künstler“, so der Pfarrer Louis Ferdinand von Zobeltitz) wurde versprochen, einen anderen Weg zur Erfüllung dieser A-Position zu finden, zum Beispiel einen Kinderchor an einer anderen Gemeinde mit zu übernehmen. „Warten Sie doch erstmal zwei Jahre ab“, so wurde ihm von der Kirchenleitung zugemutet. Und, so Ulfert Smidt, „nichts passierte. Da muß ich die Konsequenzen ziehen“. Das hat er nun. Kaum ist er da – seit August – ist er auch schon wieder weg: Im Februar geht er an die berühmte Marktkirche in Hannover als Nachfolger von Manfred Brandstetter.

„Das System ist unmöglich. Wenn man bei diesen Zahlenvorgaben bleibt, ist es zum Beispiel auch so, daß Gemeinden mit akustisch furchtbaren Kirchen und grauenhaften Instrumenten A-Berechtigung haben und wunderbare Kirchen mit wertvollen Orgeln ohne MusikerInnen sind“. Was könnte denn die Alternative sein? Smidts Vorschlag: Die Stellen nicht mehr von der Zahl der Gemeindemitglieder abhängig machen, sondern z.B. beim Land ansiedeln. Auch von Zobeltitz, außerdem Schriftführer der bremischen evangelischen Kirche, denkt in dieser Richtung, „denn wenn es so weitergeht sind mit diesem Prinzip ja sogar die Innenstadtstellen gefährdet. Unmöglich“.

Tatsächlich macht der Fall Ulfert Smidt deutlich, ob es in Krisenzeiten weiterhin Sinn machen kann, A-Stellen an Gemeinden zu binden, die diese dann von sich auch nicht mehr tragen können. „Und daß wir in dieser Krise, die sich bei seinem Engagement im November 1994 noch nicht abzeichnete, einen solchen Mann wieder hergeben müssen, ist eine ganz große Tragik für Stephani“ (von Zobeltitz).

Doch zwei Konzerte finden noch statt. Ulfert Smidt hat in Hannover Kirchenmusik studiert, sich in verschiedenen Meisterkursen auf der Orgel weiterausgebildet und war zuletzt sieben Jahre lang an der Lutherkirche in Holzminden tätig. Smidt hat 1985 Examen gemacht und empfand die Stelle in Holzminden als einen schönen Freiraum, in dem man erst einmal „einigermaßen unberührt alles mögliche ausprobieren konnte“: Händels „Messias“ und Bachs „Markus-Passion“ hat er dort dirigiert. Gerne spielt er auch Orgel, die er als seinen eigentlichen Schwerpunkt bezeichnet. Smidt musiziert nach aufführungspraktischen Kriterien, weil „das vom klanglichen her viel interessanter ist, zum Beispiel die Mischung der Streicher und Bläser. Oder die Flexibilität der Artikulation“. Ulfert Smidt: was Bremen sich entgehen lassen muß, ist am Sonntag in St. Stephani zu hören.

Ute Schalz-Laurenze

Morgen in St. Stephani: Konzert des Chores an St. Stephani und dem Farinelli Ensemble um 19.30 Uhr mit Werken von Johann Sebastian Bach