Kommentar
: Umkehr der Beweislast

■ Letzte Chance für den Kita-Anspruch

Die Verbesserung der Kinderbetreuung scheitert in Bremen nicht am Geld. Was allerdings tatsächlich fehlt, ist der Mut zu neuen Wegen. Ab 1.1.1996 haben alle Eltern einen Rechtsanspruch auf die Betreuung ihrer über dreijährigen Kinder. So hat es der Bundestag mit der Neufassung des Abtreibungs-Verbots beschlossen. Jetzt steht der Stichtag in weniger als zwei Monaten bevor, und noch immer ist der Streit nicht beendet, was Kinderbetreuung überhaupt bedeuten soll. „Mindestens 12 Stunden in der Woche“ hat die Sozialbehörde in den Bremer Gesetzentwurf geschrieben und damit den ernstgemeinten Rechtsanspruch zur Lachnummer verkommen lassen.

Dieses Mini-Angebot dient vor allem dazu, mögliche Schadensersatzklagen von Eltern abzuwimmeln, die beim Gerangel um einen Kita-Platz im nächsten Jahr leer ausgehen. Daß das passieren wird, ist heute schon klar. Rund 900 Plätze werden in der Stadt Bremen fehlen, weitere 790 Plätze in Bremerhaven. Dabei hatte das Land einige Jahre Zeit, sich auf den in Bonn mit überwältigender Mehrheit festgesetzten Stichtag einzustellen.

Und Bremen hätte längst die erforderlichen Kita-Plätze schaffen können. Denn in den meisten Kindertagesstätten sind bisher Räume von Hortgruppen belegt. Würden sie geräumt, wäre mehr als genug Platz geschaffen. Und wo bleiben dann die Hortkinder? Auch in den meisten Schulen gibt es leerstehende Räume, viele davon könnten für die Betreuung der SchülerInnen vor und nach dem Unterricht ohne großen Aufwand hergerichtet werden. Außerdem müßten die Kinder nicht mehr über gefährliche Autostraßen zwischen Schule und Hort hin- und herlaufen. Würden zudem LehrerInnen und Hort-ErzieherInnen Hand in Hand arbeiten, ließe sich in dem Bereich so manche Stelle einsparen, die für die Betreuung der Drei- bis Sechsjährigen dringend gebraucht wird.

Die Idee ist so simpel, daß selbst die Sozial- und Bildungsbehörde inzwischen darauf gekommen sind. Bis zu 300 Kita-Plätze sollen auf diese Art bis zum nächsten Sommer geschaffen werden, haben die Senatorinnen Bringfriede Kahrs und Tine Wischer vor zwei Wochen angekündigt. Der dafür in monatelanger Kleinarbeit erarbeitete Kooperationsvertrag ist allerdings schon an der ersten Hürde gescheitert. Der Senat befürwortete zwar ganz allgemein die Zusammenarbeit der beiden Senatsressorts, hatte zu dem konkreten Vertrag jedoch tausend Bedenken.

Das läßt nichts Gutes ahnen. Und wenn dann Wischer und Kahrs noch versichern, daß 150 auf diese Art geschaffene Kita-Plätze für sie „auch schon ein Erfolg“ wären, dann scheint das gute Projekt schon wieder halb beerdigt. Schließlich hatten sich in beiden Behörden die absurdesten Einwände dagegen erhoben – bis hin zu dem angeblichen Votum des Personalrats, „daß Lehrer und Sozialpädagogen nicht am gleichen Kind arbeiten“ dürften, so Senatorin Kahrs.

Wer sich von Einwänden dieser Qualität beeindrucken läßt, hat schon verloren. Was Bremen zur Erneuerung seiner Sozialangebote dringend braucht, ist eine Umkehr der Beweislast nach dem Motto: Experimente werden durchgeführt, es sei denn, es finden sich wirklich plausible Gründe dagegen.

Für die Lösung des Kita-Problems durch Verlagerung der Hort-Gruppen in die Schulen würde das bedeuten: Die Bürgerschaft beschließt, daß Hortbetreuung ab August 1996 grundsätzlich nur noch an Schulen stattfindet. Schulleitungen, LehrerInnen, ErzieherInnen, Personalräte, SenatorInnen oder wer sonst noch Einwände dagegen vorzubringen hat, muß diese im Einzelfall begründen. Da, wo eine Ablehnung wirklich stichhaltig ist, wird ihr gefolgt, überall sonst gilt das Programm als beschlossene Sache. Mal sehen, ob Bremen dann nicht doch noch in der Lage ist, für den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung zu sorgen. Dirk Asendorpf