Sanssouci
: Nachschlag

■ Freibier ohne Standing ovation: Zwischenbericht vom Jazzfest

Und heute um Mitternacht: Dave Tronzo Foto: Detlev Schilke

Was konnte man bisher nicht alles versäumen. Wie erwartet, war das Ornette Coleman & Prime Time Multi-Media-Event am Mittwoch abend ausverkauft – programmatisch geschickt gestrickt nach dem Motto: „Das Beste vorneweg.“ Das brasilianische Tanzpaar mag aus der Haus-der-Kulturen-der-Welt-Perspektive nicht kampftänzerisch-professionell genug gewesen sein, aber wen kümmert die Expertennörgelei. Der Event-Manager Denardo Coleman gab sich nach dem einzigen Deutschland- Auftritt der „Tone Dialing“-Crew in diesem Jahr jedenfalls optimistisch, wollte man den Jazzern doch mal vorführen, daß die im Popbusineß bewährte Kombination von Video, Tanz, Poetry und Musik auch für Jazzbühnen kompativel sei. „Alles eine Frage des Budgets“, fügte er noch hinzu, wohl wissend, daß die Jazzer sich in der Frage traditionell humorlos halten. Das Publikum hingegen vergaß offenbar leicht irritiert von dem, was der wortscheue Godfather des „New Thing in Jazz“ da zelebrierte, die Standig ovation und verwies den hipsten Act der Jazzjetztzeit bereits nach einer Zugabe von der Bühne. Zu laut, zu chaotisch, profan und dilettantisch oder doch einfach zu genial? Danach gab's Freibier von den Thüringer Schwarzbrauern, eine der großen Neuerungen in Sachen Sponsoring und Publikumsgunst.

Vielleicht erinnern Sie sich, daß das diesjährige JazzFest auch ein Thema hat. „Jazz Played in Germany“ machte den Weg frei für den 58jährigen Archie Shepp, der sich gerne als „jungen, zornigen Mann der Sechziger“ feiern läßt, und der diesen Kontinent so intensiv betourt, daß seine Kollegen schon munkeln, Europa sei Shepp-Land. Shepp ist ein Kapitel für sich. Während das Publikum jede seiner Black Man's Burdon-Show stürmisch feiert, schütteln die Kritiker längst nicht mehr die Köpfe, vor Verwunderung darüber, was dieser Mann sich noch alles traut. Der gemeinsame Nenner findet sich bei Shepp nicht im Musikalischen. Hier geht es um Image: Sobald er zur Begrüßung „I'm a Black Man“ nuschelt, sind die Weichen gestellt. Wer da nicht mitmachen wollte, verpaßte aber das leise, introvertierte Comeback des 70jährigen Balladensängers Jimmy Scott spät in der Nacht auf Freitag. Die letzten Zweidrittel JazzFest gibt es heute und morgen. Ernst Jandl ist leider erkrankt, und die Groove-Night fast ausverkauft. Ansonsten noch viel Spaß! Christian Broecking

JazzFest 95, noch bis Sonntag im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee, Tiergarten.