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„Erfolg ist niemals endgültig“

Mit zwei neuen Teams und einem neuen kollektiven Arbeitsvertrag startet die nordamerikanische Basketball-Liga NBA in die Saison 1995/96. Favoriten für den Titel: die Chicago Bulls  ■ Von Matti Lieske

Gestern abend begann offiziell die NBA-Saison, doch in Wahrheit lief sie schon den ganzen Sommer hindurch. Selten gab es in der spielfreien Zeit, die sonst nur vom Draft, der Verteilung der besten College-Spieler an die Teams, belebt wird, so viel Bewegung wie in diesem Jahr. Da war zunächst der Arbeitskampf, der fast zur Auflösung der Spielergewerkschaft geführt hätte. Zähneknirschend akzeptierten die Profis schließlich einen neuen kollektiven Arbeitsvertrag, den keiner optimal, aber die meisten immerhin erträglich fanden. NBA-Boss David Stern ist zuversichtlich, daß der Streit um den Mammon dem Basketball nicht jenen Popularitätsverlust eintragen wird, den der Baseball nach seinem langen Streik hinnehmen mußte.

Schließlich sei kein einziges Spiel ausgefallen. Stern ist sicher, daß der Basketball-Boom weiter anhält, zumal sich die Liga nach Kanada erweitert hat. Für je 125 Millionen Dollar durften sich die Toronto Raptors und die Vancouver Grizzlies in die Liga einkaufen. Zur Konstituierung der neuen Teams mußten die anderen 27 Klubs je einen Spieler abgeben, konnten aber acht Leute ihres Kaders „schützen“. Sonderlich starke Mannschaften kamen auf diese Weise natürlich nicht heraus, für die Neulinge geht es erst mal darum, einigermaßen mitzuhalten und sich in ihren Städten zu etablieren. „Ich weiß, daß Kanada ein Land ist, das für den Eishockey lebt“, sagt Isiah Thomas, einst Star der Detroit Pistons, jetzt Miteigentümer der Raptors. „Was wir möchten, ist, daß die Leute ihre Herzen öffnen und einen kleinen Winkel für Basketball finden.“

Ansonsten wurde die Vorsaison von einer Vielzahl Transfers bestimmt, die dafür sorgen, daß die Liga ein stark verändertes Gesicht aufweist. Die spektakulärsten Wechsel waren der von Rebound- König Dennis Rodman nach Chicago und von Coach Pat Riley nach Miami. Wenn es den Chicago Bulls gelingt, ihren alten Erzfeind Rodman, der sich im Trikot von Detroit einst manch physischen Übergriff auf die Bulls-Stars Pippen und Jordan leistete, zu integrieren, sind sie der Topfavorit auf die Meisterschaft. Jordans Mangel an Treffsicherheit in entscheidenden Phasen und vor allem die Rebound- Schwäche der Bulls hatten letzte Saison das Ausscheiden in den Play-offs gegen Orlando bewirkt. Beide Defizite sind jetzt behoben.

In den Vorbereitungspartien war Jordan wieder ganz der Alte, keine Rede mehr davon, ihn nur sporadisch oder gar erst in den Play-offs einzusetzen. Der Superstar hat gemerkt, daß auch er nicht einfach auf den Platz gehen und wie gewohnt zaubern kann. „Ich brauche das Trainingscamp, ich brauche Spielpraxis“, sagt der 32jährige, der den Sommer damit verbrachte, einen Film mit Bugs Bunny sowie anderen Comicfiguren zu drehen. Des Abends unterhielt er die Hollywood-Stars mit improvisierten Basketballmatches, bei denen sich diverse NBA- Cracks einfanden.

Sowohl Pippen als auch Jordan hatten sich für die Verpflichtung des exzentrischen Rodman ausgesprochen, was keineswegs heißt, daß sie mit ihm Freundschaft schließen wollen. Der Empfang war denkbar kühl. „Bisher hat noch keiner mit mir gesprochen“, gab der 34jährige mit den farbenfrohen Haartrachten zu, aber das sei ihm egal. „Wir müssen außerhalb des Platzes keine Kumpels sein“, sagt Scottie Pippen, der noch eine Narbe am Kinn als Rodman- Andenken herumträgt, stellvertretend für allen Beteiligten, „aber wir müssen Kumpels sein, wenn wir auf dem Platz sind.“

Einer ganz neuen Erfahrung sieht sich Erfolgs-Coach Pat Riley in Miami ausgesetzt. Seine bisherigen Teams, die Los Angeles Lakers und New York Knicks, waren gespickt mit Superstars, nun hat er eine Mannschaft zu betreuen, die in ihrer gesamten Geschichte erst zwei Play-off-Partien gewonnen hat. Riley hat von allen Trainern der NBA-Geschichte den höchsten Prozentsatz an Saisonsiegen, nie blieb ein von ihm betreutes Team unter 50 Spielgewinnen. Miami schaffte zuletzt gerade 32. „Ich werde mit dieser Mannschaft geduldiger sein als mit anderen“, versprach der elegante Coach, Teamwork soll fehlende individuelle Brillanz ersetzen. Gern zitiert Riley die Sprüche berühmter Leute, für Miami Heat scheint ihm ein Satz Walt Disneys passend: „Denkt immer daran, daß diese ganze Sache mit einer Maus begann.“ Und in eigener Angelegenheit verweist er am liebsten auf Winston Churchill: „Erfolg ist niemals endgültig.“

Vieles deutet darauf hin, daß die kommende Saison eine des Übergangs sein wird. Die Erfolgsklubs der letzten Spielzeiten wie Meister Houston Rockets, Utah Jazz oder New York Knicks kommen in die Jahre, dafür werden sich verjüngte Teams wie die Dallas Mavericks, Los Angeles Lakers, Golden State Warriors, Sacramento Kings, Washington Bullets oder Philadelphia 76ers weiter dorthin bewegen, wo Orlando Magic schon angekommen ist. Center Shaquille O'Neal wird zwar nach einem groben Foul von Matt Geiger (Miami) mit Daumenbruch bis Jahresende ausfallen, dennoch sollte der unterlegene Finalist aus Florida auch 1996 wieder vorn dabei sein.

Aus europäischer Sicht ist besonders interessant, wie sich Arvidas Sabonis in Portland behaupten wird. Schon 1986 von den Trail Blazers gedraftet, hatten politische Querelen und Verletzungen lange seinen Wechsel nach Oregon verhindert. Sorgen bereitete den Klub-Verantwortlichen vor allem die Frage, wie der Koloß aus Litauen mit dem Tempo in der NBA zurechtkommen würde. 20 Punkte und 11 Rebounds in seiner ersten Partie sorgten für Erleichterung. Das notorische Loch im Zentrum der Blazers, wegen dem die Mannschaft „Donut“ genannt wurde, scheint mehr als gefüllt.

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