: Kämpfe in Babylon
Im Dickicht der Städte: Mehrsprachige Theaterproduktionen in Düsseldorf und Mülheim ■ Von Gerhard Preußer
Mehrsprachigkeit im Theater ist nicht nur die Konsequenz der Internationalisierung der Künste, sondern auch der Besinnung des Theaters auf seine Materialität: Bildertheater, Körpertheater und Theater der Klänge statt Worttheater. Wenn „Sprechtheater“ zum Schimpfwort wird, ist der Verlust an diskursiver Verständlichkeit, den eine mehrsprachige Aufführung mit sich bringt, zu verschmerzen.
Geeignete Stücke lassen sich finden. Beim Theater an der Ruhr entschied man sich für Brechts Frühwerk „Im Dickicht der Städte“. Der motivlose Kampf zweier Männer, der als Kampf zweier Kulturen und Rassen ausgetragen wird, legt die sprachliche Kontrastierung der beiden Hauptfiguren nahe. Beim Düsseldorfer Schauspielhaus entschied man sich für Shakespeare, den transnationalen Klassiker der anglifizierten Weltkultur, und seinen „Sommernachtstraum“. Die Verwirrungen der Sehnsüchte, die Mißverständnisse des Begehrens finden im Sprachenwirrwarr eine neue metaphorische Ebene.
Im Hintergrund des Mülheimer Projekts steht die kontinuierliche Zusammenarbeit Roberto Ciullis, des Leiters des Theaters an der Ruhr, mit dem Türkischen Staatstheater. Türkische Schauspieler treffen hier auf die selbst schon gemischte Truppe des Theaters an der Ruhr. Das Düsseldorfer Projekt ist eine Idee der Regisseurin Karin Beier, die dafür junge Schauspieler aus acht Ländern zusammengetrommelt hat.
Nicht nur die Ästhetik der beiden Inszenierungen ist gegensätzlich, sondern auch der Umgang mit der Mehrsprachigkeit. In Mülheim spricht der reiche Shlink, der Asiate, türkisch und führt wie einen Hund an der Leine einen Dolmetscher mit sich herum, der für Garga, den deutschsprachigen Europäer (und damit für den Zuschauer), übersetzt. In Düsseldorf spricht jeder Schauspieler seine Muttersprache, bis auf einige international gebräuchliche englische Flüche. Das Publikum muß sich mit dem Verständnis des Gesehenen begnügen, sich an den Text erinnern oder in die Inhaltsangabe des Programmheftes blicken.
In Düsseldorf beginnt der Abend mit einem scharfen Schuß. Ein nackter, dunkelhäutiger, weiblicher Amor zielt mit dem Liebesbogen ins Publikum, der Pfeil trifft irgendwo mit einem gewaltigen Klirren: Fehlschuß ins Glasherz. Und dann bricht ein Spektakel los, das alle Register des Jahrmarkttheaters zieht. Der Hofstaat von König Theseus tritt mit handlichen Koffertrommeln im Marschrhythmus auf. Aus Oberons Elfen wird ein Clownsorchester. Alle Möglichkeiten der Verständigung bei Sprachproblemen werden durchgespielt: Nach dem in sechs Sprüchen vorgetragenen Todesurteil gegen Hermia demonstriert diese dem Lysander mit Händen und Füßen, daß sie mit ihm in den Wald fliehen will. Titania tanzt dem verzauberten Zettel ihre Liebe vor. Demetrius und Lysander tragen einen Streit durch Messen der Länge ihrer Organe aus. Und Handwerker Schnauz hat die genialste Lösung für die Rückführung der Sprache auf den Körper: Er ißt seinen Rollentext einfach auf.
Eifrig wird mit nationalen Klischees gespielt: Die Handwerker streiten sich über den Darstellungsstil ihrer Posse, ob deutsch- verfremdet, russisch-beselt, italienisch-komödiantisch oder polnisch-ekstatisch. Der italienische Oberon schnauzt den ungarischen Demetrius an mit „Basta al' improvisatione ungarese“, dieser wiederum schimpft den israelischen Lysander „fucking Jew“, der revanchiert sich mit „fucking Gypsy“. Am Ende muß Hippolyta, die doch viel lieber bei ihrem Esel Zettel geblieben wäre, Oberon heiraten und Italienisch sprechen. Die Utopie von einer Vielfalt der Liebessprachen geht unter in der Dominanz der Männersprache.
Die Aufführung entwickelt aus der sprachlichen Beschränkung eine drastische Komik, und die jungen Darsteller entwickeln ein derartiges Tempo und entfalten eine so stupende körperliche Ausdruckskraft, daß man allen Sinnverlust vergißt – für den Lustgewinn eines Abends. Hippolytas Resümee, daß die ganze phantastische, schnell vorübergehende Geschichte schließlich doch zu „something of great constancy, but howsoever strange and admirable“ werde, erfüllt sich nicht.
Auch in Mülheim beginnt der Abend mit Verständnisproblemen. Man hört zunächst vom Band eine alttestamentarische Litanei, englisch, wie man dann merkt. Es ist Allen Ginsberg, der sein berühmtes Gedicht „The Howl“ aus den fünfziger Jahren rezitiert, als Einstimmung auf den Großstadtdschungel und die babylonische Sprachverwirrung in Brechts Chicago. Ciulli greift vor allem auf Brechts frühe, noch ungeordnete Fassung des Stückes zurück und inszeniert den Kampf der beiden ungleichen Gegner als Liebeswerben. In der Mitte des wie ein Fitneßcenter mit Sportgeräten ausgestatteten Raumes liegt eine Ringermatte, auf der auch echte türkische Ringer einen Schaukampf austragen, auf der vor allem aber sich die Liebespaare treffen und verfehlen. Am Ende, bevor Shlink (Nihat Ileri) stirbt, rollt er sich mit Garga (Thorsten Krohn), der wie eine Geisha geschmückt ist, auf der Matte. Doch dann trennen sie sich wieder: „Die Vereinigung der Organe überbrückt nicht in einem Menschenleben die Entzweiung ihrer Sprachen“, sagt Shlink. Die Utopie der Liebe scheitert an der radikalen Vereinzelung, der die Menschen sich unterwerfen.
Die Mülheimer Inszenierung ist angereichert mit aus Improvisationen der Schauspieler entstandenen Szenen und wirkt dadurch uneinheitlich und bizarr. Die Schönheiten der Aufführung sind schwer zu entdecken und die Häßlichkeiten aufdringlich. Aber die chaotische Düsternis von Roberto Ciullis türkischem Brecht bleibt länger haften als die helle Heiterkeit von Karin Beiers europäischem Shakespeare. In Düsseldorf sieht man die Komödie von Liebe und Tourismus, in Mülheim die Tragödie von Liebe und Emigration.
„Sommernachtstraum. Ein europäischer Shakespeare“. Düsseldorfer Schauspielhaus (Großes Haus). Regie: Karin Beier. Weitere Vorstellungen am 4., 5., 18., 19., 24., 25., 26., 30.11.
Bertolt Brecht: „Im Dickicht der Städte/Sehrin Vahsi Caliliklarinda“. Theater an der Ruhr, Mülheim (Ringlockschuppen). Regie: Roberto Ciulli. Weitere Vrstellungen am 4., 11., 18., 25. 11.
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