Überall, wo wir sind, ist auch ein Krieg nicht weit

Sie treffen sich in der Wüste zu Schießübungen und um die alten Zeiten wieder hochleben zu lassen – Söldner, Milizen, alte kalte Krieger  ■ Aus Las Vegas Annette Weber

Die Wüste in Kalifornien ist fast grün. Erst wenn man die Grenze zu Nevada überschreitet, wird sie schlagartig sandig und öde. Im Nordosten beginnt das Death Valley, davor liegt militärisches Sperrgebiet. Hier werden Navy-Piloten von den Stützpunkten an der Küste zum Bombenabschußtraining geschickt. Umweltschutzgruppen halten das Gebiet für hochgradig vergiftet. Südöstlich, in Arizona, liegen geheime Operationsgebiete der US-Armee, die dort neue Flugkörper entwickelt und testet. Außerdem werden aus dieser Ecke des Landes die häufigsten UFO- Sichtungen gemeldet.

Von weitem weist ein Laserstrahl – von der Spitze der Luxor- Pyramide gesteuert – den Weg in die Stadt mit den meisten Glühlampen, einarmigen Banditen, weißen Tigern und kämpfenden Milizen. Zumindest an diesem Wochenende. Für eine Woche hat das Söldnermagazin Soldiers of Fortune (SOF) zur Konferenz geladen. Neben Ausstellungen und Waffenbörse, Büchern und Militärfahrzeugen, weisen Seminare über Scharfschützenmethodik bis zum Golfkriegssyndrom den Weg durch die verschlungenen Pfade der US-amerikanischen Waffenbrüder. Und die reichen vom lange pensionierten Armeegeneral, der, wie jedes Jahr, mit seinen Kumpels Vietnam wiederauferstehen lassen will, zu den unterschiedlichen Milizen, die ihr Land und ihre Freiheit gegen die Regierung und den Kommunismus verteidigen wollen. Von den Söldnern, die nach Bosnien und vor Südafrika zu Hause wieder mal Freunde und Gleichgesinnte treffen wollen, zu den Heavy-Metal-Fans, die Knarren „echt geil“ und Adolf Hitler „voll tough“ finden.

Mehr als 15.000 Karten wollen die Veranstalter in drei Tagen Ausstellung verkauft haben. Das Hauptaugenmerk gilt dem Widerstand gegen die Regierung, dem Kampf gegen die Weltherrschaft des Kommunismus und der Unterstützung rechter Juntas und christlicher Werte. Bücher über Adolf Hitlers Leibstandarte und einzelne Nazigrößen laufen hier unter „von historischem Wert“ und stehen auf den Büchertischen neben dem „Anarchistischen Kochbuch“ und einer Anleitung zur Codierung von Informationen, die unlesbar übers Internet verschickt werden sollen.

Thelma und Marc wohnen in Las Vegas und kommen hier jedes Jahr her. „Wegen der Kinder, damit die was zu sehen kriegen“, meint Thelma. Marc will informiert sein, was es Neues auf dem Waffenmarkt gibt, und nachdem Sohn Tommy, in voller Tarnuniform und drei Jahre alt, durch ein Nachtsichtgerät eine Schlange in einer Kiste entdecken durfte, wandert die Familie zu den Militärfahrzeugen, und Thelma kauft Marc einen Packen extrakratzige Minihandtücher, auf denen „Nur für ihn“ eingestickt ist.

Heute abend wollen sie sich die Versteigerung von bosnischer Kriegsbeute ansehen. Unter anderem sollen Habseligkeiten des Soldiers-of-Fortune-Redakteurs Col. Robert McKenzie dabei sein, der bei einem Einsatz, den er als Ausbilder der kroatischen Armee in Kupres mitmachte, gefallen ist. Darauf sind die „Soldiers“ ganz besonders stolz, daß ihre Jungs nicht nur Maschineschreiben, sondern Maschinen feuern können. Die Liste, die die einzelnen Redakteure in ihren Einsatzgebieten zeigt, ist lang.

Seit 1975 gibt es das monatliche Heft, das sich vor allem an Söldner, Vietnam-Veteranen, Armeeangehörige und Mitglieder der unzähligen bewaffneten Milizengruppen im Lande richtet. Wobei seit dem Anschlag auf das Federal Building in Oklahoma Abstand von den Zielen einzelner Milizen genommen wird. Andererseits wurde beim Kongreß mehrheitlich die Meinung vertreten, daß in Oklahoma, am Jahrestag des „Massakers von Waco“, nicht Timothy McVeigh oder andere Anhänger bewaffneter Kampfgruppen, sondern der Präsident ganz persönlich am Werk war. „Nach dem Vorbild Adolf Hitlers, der den Reichstag in Brand setzte, um die Verfassung ändern zu können, könnte doch auch die amerikanische Regierung gehandelt haben, um die Verfassung gegen Artikel 2, die Freiheit, eine Waffe zu tragen, verschieben zu können“, ist immer wieder zu hören.

Im Magazin selbst steht weniger Verschwörungstheorie als Kriegsromantik und Verherrlichung im Mittelpunkt. Zimbabwe, hier freilich immer noch Rhodesien genannt, war ein Haupteinsatzgebiet in der 20jährigen Geschichte der SOF. Dorthin wurden nicht nur Waffen und Leute geschickt, für Rhodesien hat sich das Magazin selbst zur Rekrutierungsstelle gemacht. Waffen nach Afghanistan und Pakistan, Ausbildungsteams nach El Salvador und personelle und logistische Unterstützung der Contras in Nicaragua – wo immer eine rechte Junta zu stützen, ein antikommunistischer Kampf zu kämpfen war, Soldiers of Fortune war live dabei. Mozambique, Desert Storm und Training kroatischer Einheiten in Bosnien.

Und dann, 1993, Waco. Der Einsatz von FBI und dem „Büro für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen“ (ATF) gegen die letzten „Aufrechten“. Gegen die Sekte von David Koresh und seine AnhängerInnen, der, wie auf verteilten Disketten zu lesen ist, „einer von uns war, einer, der mit seinen Leuten an den einen, wahren christlichen Gott glaubte, sein Essen selbst anbauen wollte, weil er wußte, daß die Regierung die Nahrungsmittel manipuliert. Einer, der sich sein Recht auf Selbstverteidigung nahm und Waffen besaß. All seine Anhänger, Frauen und Kinder, wurden von der Regierung massakriert, weil sie sich nicht angepaßt hatten.“ David Koreshs Schreiben, die nicht nur von seiner Pädophilie („All meine 12jährigen geliebten Lolitas“), sondern vor allem von Computer- und Verschwörungstheorien überquellen, werden auf der Tagung hoch gehandelt.

Die Leute hier verstehen sich als Ausgestoßene einer Gesellschaft, die von Leuten regiert wird, die eine neue Weltordnung anstreben, in denen die Macht der Gewehre ausschließlich beim Staat, nicht mehr beim einzelnen liegen soll. Sie, und da scheinen sich Kaiser- Wilhelm-Simulanten mit mormonischen Montana-Milizen-Müttern einig zu sein, müssen sich schützen, vor den Gangs, vor den Kommunisten, den Ungläubigen, vor allen, die anders sind: nicht weiß etwa, homosexuell oder pazifistisch.

Den Aufkleber „Kill a drug dealer – safe your child“, „Töte einen Drogendealer, rette dein Kind“, streckt Mary Lou allen entgegen, die sich am Stand der Montana- Miliz versammeln. Daneben liegen Antiabtreibungsbroschüren und Autoaufkleber, die von einem Mann mit der T-Shirt-Aufschrift „No Welfare, no Parasites“ – (Wo es keine Sozialhilfe gibt, gibt es keine Parasiten), gekauft werden.

Wie alle hier, hat Mary Lou eine ausgeprägte Abneigung gegen TrägerInnen des roten (sic!) Presseausweises. Sie ist versteinert und will sich weder über ihre eigene Motivation unterhalten, in einer bewaffneten Miliz zu sein, noch über die Organisation selbst. Sie sagt etwas von Überfremdung, und daß die Mexikaner sich das Land wieder zurückholen werden, indem sie die Amerikaner einfach zahlenmäßig erdrücken. Für Frauen gebe es in diesem Land keine Sicherheit mehr, die Gangs, der Werteverlust, das sei ein Grund, zu kämpfen.

Die Frauen, die sich bei diesem Söldnertreffen befinden, sind entweder, was die Ausnahme ist, wie Mary Lou, züchtig gekleidet, mit weitem Rock und wehenden Haaren, ein Abbild der nach Westen ziehenden Trecker, die amerikanische Pionierin, ihr Gewehr wie ihre Kinder nicht aus den Augen lassend und im festen Glauben, das richtige, christliche zu tun: sich und die ihren zu verteidigen. Daß dabei die ursprüngliche und restliche Bevölkerung weichen muß – damals die Indianer, heute alle, die anders sind – erscheint ihr vollkommen normal.

Uniformierte Kämpferinnen sind in der Minderheit. „Es ist ja auch alles doch eine Männersache. Frauen sollen sich selbstverständlich bewaffnen, um sich und ihre Kinder zu schützen, aber den sportlichen, den militärischen Aspekt, der sollte ohne sie stattfinden“, findet Dave, der extra aus Dallas angereist ist, und neben seinem Job beim dortigen Atomkraftwerk Maschinengewehre verkauft. Sein Hauptinteresse hier gilt G. Gordon Liddy, einem der bekanntesten Hate-Radio-Männer. Der erläutert noch einmal, warum er in einer Sendung dazu aufrief, bei einem eventuellen Besuch der ATF auf den Kopf zu zielen: „Die tragen doch alle kugelsichere Westen.“ Großes Gelächter.

Zurückhaltender, und an Äußerlichkeiten überhaupt nicht zu erkennen, sind die tatsächlichen Söldner bei diesem Treffen. Keine Tarn- und Kampfanzüge, keine Söldnerbarretts, keine Pistolenhalfter und Springmesser. Norm, einer dieser Männer, ist seit einigen Wochen wieder aus Bosnien zurück. „Jetzt kribbelt es mich schon wieder. Wenn ich nicht dort bin, weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich meine, man kann sich Videos ansehen und ins Fitneßcenter gehen, aber richtig leben ist das nicht. Richtig leben beginnt für mich erst, wenn ich dort bin, mittendrin. Da zählen noch Werte wie Zusammenhalt, Kameradschaft, da kämpft einer für den andern. Viele von uns sind jetzt von Südafrika angeheuert worden. Über 700 Söldner sollen im Sold der Afrikaner stehen. Wozu? Geplant ist, gemeinsam mit der Inkhata, der Zulu-Partei, endlich Schluß mit diesem kommunistischen Regime zu machen, den ANC zu stürzen und wieder Ordnung und Ruhe nach Südafrika zurückzubringen.“

Wer genau die 700 Söldner angeworben hat und wann er dorthingehen will, sagt er nicht, und überhaupt habe er schon zuviel geredet.

Die meisten Leute hier sind weiß. Vereinzelt kommen Kleingruppen von lateinamerikanischen Männern, einige Japaner, einer mit einem Reichskriegsflaggen- T-Shirt, auf dem klein ein Hakenkreuz und das Datum 1939 aufgedruckt ist, sind auszumachen. Auf dem Weg zu den Schießübungen sitzt ein schwarzer Mann mit im Shuttle-Bus, der ein Soldier-of-Fortune-T-Shirt trägt und augenscheinlich keine Probleme mit den rassistischen Witzen hat, die sein Vordermann von sich gibt.

Bevor die Kriegssimulation beginnt und 20 Männer mit Maschinengewehren auf Dynamitbehälter feuern und die Wüste in Brand setzen, begrüßt Peter Kokales, der technische Redakteur des Magazins, dann auch die „Freunde aus Lateinamerika und Afrika“. Punktuell, so kann man erfahren, sei an eine enge Zusammenarbeit auch mit „Fremden im eigenen Land“ zu denken. „Be somebody, kill a terrorist“ – „Sei ein Mann und lege einen Terroristen um“, klebt auf einem der Autos.

Daß den Glücksrittern der Krieg fehlt, hat sich auch bei dieser Tagung gezeigt. Am Abend vor dem Wettkampf hat sich einer in einen Streit auf der Straße verwickelt. Wie jeder gute Amerikaner hatte er seine geladene Kleinkaliberpistole dabei und gab einige Schüsse auf seine beiden Kontrahenten ab. Er wurde mit einer lebensgefährlichen Schußverletzung im Kopf, abgefeuert aus seiner eigenen Waffe, ins Krankenhaus eingeliefert.