Schewardnadse setzt auf Wiederwahl

Am Sonntag wird in Georgien gewählt. Der Präsident hat keine ernstzunehmenden Gegner, doch im Parlament hat seine Partei kaum Chancen auf eine Mehrheit  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

In allerletzter Minute sagte Eduard Schewardnadse, Präsident Georgiens, seine Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 50jährigen Jubiläum der Vereinten Nationen ab. Ein Treffen mit US–Präsident Bill Clinton war im Programm auch vorgesehen. Die Absage verwunderte. Gewöhnlich läßt sich die Führung einer notleidenden Nachfolgerepublik der Sowjetunion keine Cheance entgehen, die Weltöffentlichkeit von prominenter Stelle aus zu größerem Engagement in ihrer Heimat zu bewegen. Die Begründung aus dem Präsidentenstab schien zunächst einleuchtend. Am Sonntag wählt die Kaukasusrepublik ein neues Parlament, am selben Tag findet auch der erste Durchgang der Präsidentschaftswahlen statt. Der Päsident könne daher das Land so kurzfristig nicht verlassen.

Der eigentliche Grund ist wesentlich delikater: Am 29. August dieses Jahres entging der 66jährige Präsident nur knapp einem Anschlag. Noch am selben Tag nutzte er die Chance, um gegen unliebsame Gegner vorzugehen, die seit langem danach trachten, eine bewaffnete Gegenmacht aufzubauen. Unter ihnen die Paramilitärs der „Mchedrioni“ und eine dubiose Vereinigung namens „Rettungskorps“. Die Mchedrioni unter ihrem Führer Dschaba Joseliani hatten Schewardnadse in den ersten unruhigen Zeiten nach seiner Rückkehr aus Moskau unterstützt. Im Krieg gegen die abtrünnige Schwarzmeerepublik Abchasien hatten sie sogar die meisten Opfer zu beklagen. Dann siedelten sie sich zunehmend im Grenzbereich zum kriminellen Milieu an, was dem Präsidenten den Vorwurf einbrachte, seine Macht auf den Gewehrläufen von Mafiosis zu errichten.

Angst vor einem Putsch

Die Ermittlungen im Falle des Attentats führten weiter nach Moskau zum ehemaligen Geheimdienstchef Georgiens, Igor Georgadse. Aber auch er soll nur ein Handlanger sein. Seine Auftraggeber vermuten die Georgier in einflußreichen Kreisen der Moskauer Reaktion, die dem ehemaligen Außenminister der UdSSR den Zusammenbruch der Sowjetunion zur Last legen. Moskau reagierte nicht auf das Auslieferungsersuchen Georgiens.

Noch immer regiert die Angst vor einem Putsch in Tiflis mit. Noch immer wirkt Moskau indirekt mit. Offiziell erkennt der Kreml die territoriale Integrität Georgiens an. Tiflis hatte schon vor zwei Jahren dem Moskauer Druck nachgegeben und war trotz innenpolitischer Kontroverse in die GUS eingetreten. Schewardnadse machte den Russen sogar ein riesiges Zugeständnis. Fünf ihrer Militärbasen im Landesinneren und an der Schwarzmeerküste dürfen sie weiter betreiben.

Schewardnadse war wegen seiner Nachgiebigkeit gegenüber dem mächtigen Nachbarn bei Nationalisten und gemäßigten Kräften häufig in Verruf geraten. Das Attentat hat deren Zweifel nun zum Teil beseitigt. Bei den Präsidentschaftswahlen gilt der „weiße Fuchs“, wie ihn die Georgier nennen, als aussichtsreichster Kandidat. In der Tat hat sich die Stimmung der Georgier im Laufe des letzten halben Jahres spürbar verbessert. Der Kampf gegen Kriminalität und Bandentum zeitigte erste Früchte. Konnten die Tifliser bis ins Frühjahr nur tagsüber auf die Straße gehen, herrscht heute auch bei Dunkelheit heftiges Treiben auf dem hauptstädtischen Rustaweli Boulevard. Das lange hinausgezögerte Privatisierungsproramm ist angelaufen, und die Weltbank bescheinigte dem Reformbemühen Vorbildlichkeit.

Kehrseite der Reformen

Dennoch lassen sich die Schattenseiten der Reformen und des innenpolitischen Chaos nicht übersehen. Nie zogen so viele Bettler durch die Straßen der Hauptstadt. Die über 200.000 Flüchtlinge aus Abchasien hängen ohne Beschäftigung herum. In den ländlichen Regionen liegt die Wirtschaft brach, den staatlichen Betrieben fehlt das Geld, eine Bodenreform wurde nicht in Angriff genommen. Die Bauern betreiben Subsistenzwirtschaft. Auf die Stimmen der Zukurzgekommenen und der ländlichen Bevölkerung setzt der einzige ernstzunehmende Gegenkandidat Schewardnadses, Dschumber Patiaschwili. In Umfragen konnte der Kommunist und ehemalige Erste Sekretär der Kommunistischen Partei Georgiens 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen.

Patiaschwilis Werdegang ist eng mit dem seines Rivalen verknüpft. Als Schewardnadse in den 80er Jahren ins sowjetische Außenministerium nach Moskau wechselte, übernahm er die Führung der Republik: Bis zum 9.April 1989, als sowjetische Truppen unter Demonstranten, die für Georgiens Unabhängigkeit auf die Straße gegangen waren, ein Blutbad anrichteten. Patiaschwili begreift die Kandidatur heute als eine Chance zur Rehabilitierung. Aber das setzt seinen Aussichten eine klare Grenze. Dennoch verfangen nationalistische Parolen heute nicht mehr wie noch vor zwei Jahren. Der Kandidat der nationalistisch gesinnten Kräfte, Akakij Bachradse, landet weit abgeschlagen auf dem dritten Rang. Für den Fall seines Wahlerfolges kündigte er einen schnellen Kriegszug gegen die abtrünnige Republik Abchasien an, um die territoriale Gesamtheit Georgiens wiederherzustellen. Ähnliche Absichten unterstellen Beobachter allerdings auch Schewardnadse, der nicht umhinkäme, eine baldige Lösung des Sezessionsproblems anzustreben. Mit von der Partie ist noch ein zweiter Kommunist. Panteleimon Georgdse, Vater des gesuchten Attentäters auf Schewardnadse. Er tritt öffentlich für die Wiedererrichtung der UdSSR ein, womit ihm keine großen Erfolgsaussichten beschieden sind.

Schewardnadses Gegenkandidaten klagen einhellig darüber, bedroht zu werden. Ähnliche Vorwürfe stammen auch aus den Reihen der Bewerber für ein Abgeordnetenmandat. Hier sehen die Chancen der von Schewardnadse ins Leben gerufenen „Bürgerunion“ nicht so rosig aus. Weit größere Populatität genießt die Nationaldemokratische Partei (NDR), der ein Drittel der Stimmen prognostiziert werden. Bisher bewegte sich die NDR in kritischer Distanz zu Schewardnadse.

„Selbst wenn ich die Wahlen verliere, ist das schon ein Sieg“, sagte der in demokratischer Rhetorik geschulte Schwardnadse. Soweit wird es nicht kommen, denn er hält alle entscheidenden Hebel in der Hand. Man liebt ihn nicht, aber respektiert ihn, solange ihm keiner das Wasser reichen kann.