Glück ist politisch

■ Kito-Kolleg „Gefühle“: Heiner Keupp preist das „postmoderne Lebensgefühl“

„Sind die Frauen aus meinem Heimatdorf, die ihr Leben ganz traditionell nach Schema F leben, nicht viel glücklicher als ich?“ fragt eine Freundin regelmäßig, wenn die selbstbestimmte Lebensplanung zur Irrfahrt auf dem Ozean der Möglichkeiten zu werden droht. Natürlich will sie nicht mit jenen tauschen – aber ein bißchen mehr Sicherheit wäre schon nicht schlecht. Mit ihren Zweifeln liegt sie ganz im Trend, der gerne als „postmodernes Lebensgefühl“ beschrieben wird. Wie der postmodernen Lebensführung viel Positives abgerungen werden kann, darüber referierte der Münchener Sozialpsychologe Heiner Keupp am Donnerstag abend vor ausverkauftem Hause im Kito. Der Titel der Veranstaltung, „Freude aus Verunsicherung schöpfen“, ist das optimistische Credo von Keupp. Will sagen: Der Zusammenbruch des „Identitätsgehäuses“, der vorgeschriebenen starren Lebensformen, wird zwar von vielen (Großstadt-)Menschen in den hochkapitalistischen Ländern als Verlust, als Verunsicherung erlebt. Doch damit verbunden ist auch die Chance, ArchitektIn der eigenen Lebensplanung zu werden, was – so Keupps These – Freude bereiten kann. Weshalb sein Vortrag in die Kito-Kolleg-Reihe „Gefühle“ gebettet war. Heiner Keupp, der in den letzten fünf, sechs Jahren zum vielzitierten Autor über Fragen der modernen Identitätsbildung geworden ist, verbreitete aufklärerischen Optimismus: Die Befreiung des Menschen aus traditionellen Zwängen – wie religiöse Bindung und althergebrachte Familienstrukturen – wertet er positiv. Doch Keupp, der in Frankfurt bei Horkheimer und Adorno studierte, geht bei den Entwürfen für den modernen Menschen weg vom Modell des „allgemeinen Menschen“ und entwickelt politische Forderungen, die die Voraussetzung für das positive Lebensgefühl sind: An erster Stelle steht bei ihm der gesicherte Zugang zu materiellen Ressourcen, wie er sich im modernen Sozialstaat realisieren sollte. Die politische Forderung nach „Grundsicherung“ und finanzieller Absicherung von Projekten und Initiativen vertrete er deshalb schon lange. Denn die ökonomische Absicherung bestimmt auch einen zweiten Aspekt: Die Voraussetzung dafür, daß „individuelle Gestaltungskompetenz“ zum Tragen kommt, ist eben die soziale Grundsicherung. Wenn diese Bedingungen gegeben sind, könne der postmoderne Mensch Freude dabei empfinden, aus dem eigenen Leben ein Kunstwerk zu kreieren. Das Streben nach Glück bleibt bei Heiner Keupp damit ein politisches Projekt.

Daniela Martin

Ausstrahlung des Vortrages am 9.11. um 21 Uhr auf Radio Bremen 2, „Forum der Wissenschaft“