Zertrümmerte Schlager

■ Dacapo-Konzert mit der japanischen Pianistin Tomoko Mukaiyama

Schon bei ihrem letzten Konzert in Bremen überzeugte vor drei Jahren die japanische Pianistin Tomoko Mukaiyama neben ihrem pianistischen Können durch die Qualität und Stringenz der Programmzusammenstellung. Gemeinhin wechselt selbst für ein Publikum, das Erfahrung mit Neuer Musik hat, häufig erschreckend Belangloses mit großen Werken. Nicht so bei der Japanerin, der es nun im gut besuchten Dacapo-Konzert wieder einmal gelungen ist, eine durchgehende Gesamtspannung aufzubauen. Es begann mit einer richtigen Intrada: „The Memory of Roses“ von Louis Andriessen, ein harmloses einstimmiges Stückchen, das eine zweite Stimme für ein Spielzeugpiano aufweist und durch dessen Toncharakter an Gamelanmusik erinnert. Musik, die man getrost vergessen kann, folgte jetzt nicht die Explosion durch „Inner Piece“ der 1968 geborenen Vanessa Lann. In eine minimalistische Struktur jagt die Komponistin synkopische Querschläger hinein, eine Spannung, durch die eine unglaubliche Energie entwickelt wird. Erlaubten diese synkopischen Schläge schon die Assoziation zum Schlagzeug, so führte Mukaiyama diesen Aspekt mit der Wiedergabe von „Winsboro cotton mill blues“ von Frederic Rzewski noch weiter aus. Bis auf einen lyrischen Mittelteil wird das Klavier hier konsequent als Schlagzeug benutzt: Fabelhaft, wie die Pianistin das minutenlang sich entwickelnde Ostinato auf- und wieder abbauen konnte.

Die russische Komponistin Sofia Gubaidulina hat in ihrer Verwurzelung in der Tradition, besonders in der Musik von Johann Sebastian Bach, ein ganz eigenes avantgardistisches ästhetisches Konzept entwickeln können. In der 1965 entstandenen „Piano Sonata“ entsteht ein atemberaubendes energetisches Feld durch die Überlagerung eines neoklassischen Ansatzes mit einer ungemein komplexen Rhythmik und experimentellen Klangverfremdungen durch Spielen der Saiten auch innerhalb des Flügels.

Das hochvirtuose und grandios bewältigte Stück war schwere Kost. Wunderbar deshalb, daß Mukaiyama dann Meredith Monks witziges und optimistisches „Double Fiesta“ für Stimme und Klavier spielte. Die minimalistisch verarbeiteten Lach-, Grunz-, Pieps-, und Gröllaute der amerikanischen Performerin sind eigentlich auch an deren Stimme gebunden. Zum Begriff der Performance gehört ja die körperliche Bindung der KünstlerInnen an ihr „Werk“, oft auch die Einmaligkeit und Nichtwiederholbarkeit der Darstellung. Der Vergleich mit der Fassung von Monk selbst zeigt, daß Mukaiyama sehr viel sauberer singt und durch ihre direkte und anfeuernde Interpretation das Stück natürlich aus dem reinen Performance- in den Kompositionsbereich hineinholt. Ein mutiges, aber auch gewagtes Verfahren, was das Stück aber verträgt.

„To my Fairy Queen“ von Jilius Bergerijk fängt als unsäglicher Schlager an und wird dann sozusagen zertrümmert. Immer schräger werden die begleitenden und die Singstimme bald erschlagenden Dissonanzen, und immer schreiender muß sich die Stimme gegen diesen Angriff wehren.

Das Angenehme an diesem hervorragenden Klavierabend war die Tatsache, daß Mukaiyama nicht alles bierernst nahm Und Dacapo hat auch das Kneipenproblem im Übersee-Museum bestens gelöst: Die Konzerte finden im ersten Stock in absoluter Ruhe statt.

Ute Schalz-Laurenze