Bier und Saurer statt Marusha

■ Marushas Flieger blieb am Boden, statt der Techno-Top-DJane baten zwei Lokalmatadoren im „Modernes“ zum Rave

Eigentlich ist Marusha gar nicht so verkehrt. Ähnlich wie bei den „Ärzten“ oder den „Fantastischen Vier“ ist lediglich ihr medial verbreitetes Teenie-Image ein wenig unglücklich gewählt. Hört man sich ihre Platten unvoreingenommen an, wird man feststellen, daß die meisten ihrer oft als kommerziell und banal verschrieenen Techno-Tracks weitaus origineller und vielschichtiger sind als das meiste, was allgemein unter „Underground“ firmiert und somit als geschmacklich korrekt gilt. Leider konnte Marusha am Freitag nicht zur Beweisführung im Modernes antreten, denn in ihrer Wahlheimat Berlin (oder wo sich die Jet-Setterin sonst gerade aufgehalten haben mag) dachten sich die Fluglotsen wohl, daß man bei diesem Hundewetter ja kein Flugzeug aus dem Hangar jagen könne, und deshalb mußte Bremen ohne die Techno-Verkaufszahlen-Queen mit den bunten Augenbrauen und Lockenwicklern auskommen.

Das hieß allerdings nicht, daß im Modernes nicht geravet wurde. Für einen Star von Marushas Format hatte man eh zwei lokale DJs zum Anheizen an die Plattenteller gebeten, und die übernahmen kurzerhand zum Dumping-Eintrittspreis von fünf Mark den ganzen Abend. Oliver Huntemann aus Bremen und Celle aus Oldenburg sind nicht irgendwer, sondern haben durchaus einen Namen in unseren Breiten, so daß SzenegängerInnen nicht lange mit Tränenvergießen beschäftigt waren, sondern sich gleich auf die Tanzfläche begaben.

Proppenvoll wurde es jedoch nicht; wahrscheinlich waren die erwarteten Scharen Minderjähriger wieder abgewandert, als sie das handgeschriebene Schild mit der traurigen Nachricht über die Unpäßlichkeit ihres Stars am Eingang gesehen hatten. Auf dem Parkett tummelten sich vor allem die üblichen Techno-Statisten: bezopfte Girlies in silbernen Latzhosen und anderen Accessoires aus der gerade wieder sehr hippen Astronautik und glatzköpfige Jungs in Kapuzenpullis, die nach wie vor sakral aussehen. Bier und Saurer verliehen den jungen Leuten dabei Flügel; die oft mit der Techno-Szene assoziierten Energy-Drinks wurden selten gesichtet. Getanzt wurde nicht nur auf der Tanzfläche, sondern auch in Gängen und an Theken, was weniger mit Nonkonformität zu tun hatte als viel mehr damit, daß einfach überall genügend Platz war.

Platz ist Techno-Jüngern suspekt. Sie mögen es scheinbar am liebsten dicht an dicht gedrängt. Einige kamen gar nicht erst rein, nachdem sie Rausgehende nach der Publikumsdichte gefragt hatten und „Ist nicht so voll...“ als Antwort bekamen. Musikalisch bewiesen die Herren Huntemann und Celle, daß Techno nicht nur Musik für Raver, sondern vor allem auch für HiFi-Freaks ist. Es war ganz erstaunlich und selbst ohne körperlichen Einsatz sehr unterhaltsam, wie viele kleine feine Tönchen sich unter den großen groben verbargen. Bei schlechter Soundanlage gehen die völlig unter, und Techno wird zu der schäbigen Monotonnerverei, auf der etliche Vorurteile basieren. Im Modernes allerdings war der Klang gut und die Freude groß, und die DJs bewiesen ein begnadetes Gespür für den dramaturgischen Aufbau ihrer Sets, wenn man das im Jargon so sagen darf.

Wieder zu Hause angekommen, stellte sich allerdings wieder mal der große Nachteil solcher Veranstaltungen heraus: Soviele zerknüllte Flyer, die an allen Ecken und Enden verteilt wurden, hatten sich in Jacken- und Hosentaschen gesammelt, daß die Suche nach dem Haustürschlüssel zur Geduldsprobe wurde. Erstens nicht gut für die Umwelt, zweitens kann man bei sowas erfrieren.A.N.