■ Ein Museum zeigt Relikte des dörflichen Aberglaubens
: „Bitte nicht spucken!“

Neu-Ulm (taz) – In den Vitrinen des kleinen Dorfmuseums von Pfuhl bei Neu-Ulm prallen Glaube und Aberglaube aufeinander wie selten wo. „Legt man abends die Strumpfbänder kreuzweis' auf den Tisch, so bekommt man keinen Krampf im Bein“, steht auf einem kleinen Schild zu lesen.

Die Sonderschau „Das Kreuz als Begleiter des Menschen von der Wiege bis zur Bahre“ ergänzt seit kurzem die Dauerausstellung „Die Kirche im Dorf“, bei der der Besucher unglaubliche Dinge über das Leben unter dem Kirchzwang erfahren kann. Die Geschichte von den alten Stiefeln beispielsweise, auf die mit Kreide ein Kreuz gemalt ist. „Ein Kreidekreuz auf der Schuhsohle schützt vor Verirrung. Also wenn der Vater in den Roten Ochsen gegangen ist, hat die Mutter schnell noch ein Kreuz auf die Schuhe gemalt.“

Barbara Hoffmann schmunzelt, wenn sie diese Geschichte erzählt. Zusammen mit Annemarie Stumpp und einigen anderen quirligen Damen sorgt sie seit Jahren für abwechslungsreiche und weithin beachtete Ausstellungen in dem Dorfmuseum. Nur sonntags oder nach Vereinbarung ist das Haus neben der Feuerwehr geöffnet, der Eintritt ist frei.

Was die „Museumsfrauen“ bei Einheimischen so alles ausgraben, ist sehenswert. Für Heilzauber war das Kreuz genauso gut wie als Symbol christlichen Glaubens. Da ist in einer Vitrine ein traditioneller Herrgottswinkel ebenso zu bewundern wie eine alte Quittung, signiert mit den damals üblichen drei Kreuzen. Gleich daneben wird erklärt, wie bestimmte Kreuze in der Gaunersprache als Geheimzeichen Verwendung fanden. Gichtkreuze sind zu sehen und ein alter Schmalztopf mit einer darübergelegten Sichel. Um immer Schmalz zu haben, fuhr man früher kreuzweise mit der Sichel über den Topf.

Gleichzeitig war das Kreuz aber auch grausames Folterwerkzeug, beim Kreuzigungstod beispielsweise. „Erfunden“ wurde diese besonders schlimme Form der Todesstrafe, auch das erfährt der Besucher der Pfuhler Ausstellung, schon 500 Jahre vor Christi Geburt — von König Tarquinius Superbus. Auch der Bedeutung der alten Steinkreuze an Wegrändern sind die Museumsfreunde Pfuhl nachgegangen. Im Mittelalter war es Rechtsbrauch, den unbeabsichtigten Totschlag nicht gerichtlich, sondern privatrechtlich zu regeln. „Der überführte Täter“, berichtet Annemarie Stumpp, „mußte die Angehörigen fürstlich entschädigen und zur Sühne ein Steinkreuz am Ort des Unglücks aufstellen. Außerdem durfte er sein Leben lang nur noch fromme Dinge tun.“

Bis in die heutige Zeit hält sich in dörflichen Gegenden ein alter Aberglaube. Wenn man seine Krankheit in die Löcher dieser Kreuze hustet, ist die Krankheit schlagartig vorbei. Dem Steinmehl aus den Löchern in den Sühnekreuzen wurde immer schon große Heilkraft zugeschrieben.

Ein 70 Jahre altes Plakat in der Ausstellung zeigt, daß so manche Diskussion so neu gar nicht ist. „Protestiert gegen die Verpfaffung der Schule!“ steht auf einem Protestplakat des „Ortskartells der Reichsarbeitsgemeinschaft der freigeistigen Verbände“, das aus dem Jahr 1925 stammt. Und eine nicht weniger überraschende Darstellung aus dem Mittelalter findet sich ebenfalls in Pfuhl. Ein Bild mit einer gekreuzigten Frau, der „Heiligen Kummernus“ (auch Kümmernis). In Deutschland und Österreich wurde sie vormals als sagenhafte Heilige verehrt. Damit die Kirche, die sich mit der sonderbaren Heiligen nie so recht anfreunden wollte, etwas wohlgesonnener reagieren möge, wurde die Jungfrau mit einem leichten Bart dargestellt.

Daß erst rund 1.000 Jahre n. Chr. Die ersten Kruzifixe aufkamen, verwundert die meisten Besucher der Ausstellung. „Die alten Christen wollten ihren Erlöser nie am Kreuz zeigen. Die haben sich dafür geschämt“, weiß Annemarie Stumpp zu berichten. Erst in der Romanik kamen die ersten Kreuze mit Corpus auf, aber auch die zeigten noch keinen schmerzverzerrten und gequälten Christus. Dies war dem Barock vorbehalten. „Wir sind nicht auf einen aktuellen Trend aufgesprungen“, sagt Barbara Hoffmann. „Wir haben die Ausstellung längst vor der Kruzifixdiskussion vorbereitet.“

Gleichwohl findet natürlich gerade dieses Thema derzeit im weiten Umkreis von Neu-Ulm besondere Beachtung. Vom Frauenkreis bis zur Abiturklasse reicht das Besucherspektrum. Im Hinausgehen fällt der Blick noch auf eine schlichtes Schild: „Es wird gebeten, im Gotteshaus nicht auf den Boden zu spucken“, steht darauf. Früher war es nämlich üblich, in der Kirche auf den Boden zu spucken, um sich gegen Zahnweh zu schützen.

Und noch was. Wer fluchte, mußte sich vor die Kirchentüre stellen und an seinen Hut einen Zettel heften — mit der Aufschrift „Du sollst nicht fluchen!“ Klaus Wittmann