Bunt steigt neuer Luftballon

Nach dem 2:1-Finalsieg über Tschechien beim Deutschland-Cup spürt DEB-Trainer Kingston Rückenwind für deutsches Eishockey-„Konzept 2.000“  ■ Aus Stuttgart Markus Götting

Als das Spiel gegen die Schweiz schon beinahe beendet war, wurde der Hallensprecher aber energisch, und er sprach, daß es ihm eindeutig zu leise sei in der Schleyer-Halle zu Stuttgart. Überhaupt möge sich das dröge Samstags-Publikum mal von den Plätzen erheben und olé- olé rufen. Sonntag wurde es etwas besser. Es gab schließlich auch einen gewissen Grund zur Heiterkeit: Die deutsche Auswahl hatte durch Nowaks Tor mit einem 2:1 im sudden death der Verlängerung (60.53min) erstmals den Deutschland-Cup gewonnen. Kadlec hatte Ludek Bukacs Team in zweiten Drittel in Führung gebracht, der Düsseldorfer Doucet nach 42.22min für die Deutschen ausgeglichen. Und dank des braven Mitkufers Nowak hat man nun tatsächlich 100.000 Mark und den Cup gewonnen. Das hatte dieser Mannschaft eigentlich nur die Verbands-Funktionäre zugetraut.

Deutschlands beste Eishockeyspieler hatten sich nämlich in den Gruppenspielen so über die Zeit gewürgt. so auch gegen die Schweiz, international zwar A-Klasse, doch da B-Kategorie. Schön anzusehen war der 3:2-Sieg allenfalls im zweiten Drittel und überdies hing er eng zusammen mit dem Namen Dieter Hegen. 33 Jahre alt ist der DEG-Stürmer jetzt, mithin kein Mann, der die Zukunft des deutschen Eishockeys personifiziert, und doch scheint es zu ihm keine Alternative zu geben.

Zweimal traf er gegen das helvetische Team, ein Tor gelang ihm tags zuvor beim 4:2 gegen Kanada. Die Art, wie er den Puck ins Netz jagt, seine Routine und Sicherheit, die wird so schnell keiner seiner Mitstreiter erreichen. Nationaltrainer George Kingston weiß das auch, und man sieht ihm an, daß er darüber keineswegs erfreut ist.

Trotzdem blasen sie beim Deutschen Eishockeybund (DEB) einen großen, bunten Luftballon namens Zuversicht auf. Doch Vorsicht: In der Vergangenheit reichte zumeist ein kleiner Nadelstich, um ihn wieder zu zerfetzen. Die Rosaroten wurden stets spätestens bei der WM von erschütternden Realitätskicks heimgesucht, zuletzt in Schweden, als mit dem neunten Platz die direkte Qualifikation für Olympia mißlang.

Inzwischen aber ist der Gram überwunden, weshalb die Resultate vom Deutschland-Cup zunächst durch weise Gruppeneinteilung möglich gemacht wurden, und nun als richtungsweisend interpretiert werden. Daß dabei auf dem Eis zuvorderst nach grobschlächtigem Muster – Puck nach vorn und alle Mann hinterher – verfahren wurde, vermag das neue Selbstbewußtsein kaum zu erschüttern.

Die Verbandsvisionäre plaudern bereits von der Jahrtausendwende, und sie haben dafür bekanntlich auch schon ein Reformpapier erarbeitet, welches den bewährten Titel „Konzept 2.000“ trägt. Inzwischen nämlich hat man in der DEB-Zentrale erkannt, daß über das Kunstprodukt Deutsche Eishockey Liga (DEL) für den Kufensport hierzulande kein Imagegewinn zu erwarten ist, weshalb es ein Ende nehmen soll mit den ökonomischen Klub-Egoismen.

Da ist der Verband auch nicht geizig: 20.000 Mark pro Spieler für eine Viertelfinalqualifikation, 50.000 gar für die Teilnahme am WM-Halbfinale sind ausgelobt. Zur Vorbereitung auf das kommende Weltturnier in Wien versammelt Kingston seinen inzwischen auf etwa 40 Personen angeschwollenen Kader monatlich zum Unterricht, und dabei wird es knallhart zugehen. Allmählich nämlich fordert Kingston auch von den jungen Spielern „mehr Zuverlässigkeit und Konstanz“. Bisher beschreibe die Leistungskurve eher einen starken Wellengang, meint der Kanadier und läßt seine Hand illustrierend in der Luft surfen.

In der Tat scheint die Malaise beim Nachwuchs zu stecken. Alles Schlaffis, muß deren Übungsleiter Erich Kühnhackl wohl gedacht haben, als sich seine jüngsten Erkenntnisse auf einen Kernsatz reduzierten: „Ab in den Kraftraum“ mit denen. Zupacken heißt die neue Maxime, und alle sollen mitspielen. Doch genau diese Auffassung beweist die Theorielastigkeit des Konzepts. Die Klubtrainer sollen risikobereiter werden und Nachwuchsleuten öfter eine Chance geben und sich nach Möglichkeit an einem vom Verband vorgegebenen Taktikgerüst orientieren.

Weil nämlich jeder Trainer seine eigene Philosophie vertrete, sagt Kühnhackl, herrsche in der Nationalmannschaft „ein babylonisches Taktik-Wirrwarr“. Bloß wird das die Verantwortlichen der Spitzenklubs nur mäßig kümmern. Die haben ihre eigenen Sorgen.