Wie wär's mit 'nem Amnestiegesetz für Totalverweiger?

■ betr.: „Der Große Zapfenstreich“, taz vom 27. 10. 95, „Helm auf und Zapfen streichen“, taz vom 28./29. 10. 95

Die Wehrpolitik der sogenannten staatstragenden Parteien ist schwer angeschlagen. Die Reduzierung des Grundwehrdienstes auf nur noch zehn Monate zeigt dies mit aller Deutlichkeit. Sie wissen nicht mehr weiter und lavieren herum, nicht zuletzt wegen der Tatsache, daß fast jeder Dritte junge Mann den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert. In dieser Situation sollten alle außerparlamentarischen Gruppen und Initiativen der Kriegsgegner in die Offensive gehen. Was heißt das?

1. Grundsätzliche Infragestellung der Legitimität der Wehrpflicht. Wer hat diese Gesetze wann unter welchen historisch-politischen Voraussetzungen in die Verfassung mit Zweidrittelmehrheit hineinlanciert? Hat das Volk (der Souverän) – ganz zu schweigen von den jungen 18jährigen Männern, die damals noch gar nicht wahlberechtigt waren – jemals in Wahlen und Abstimmungen darüber entschieden?

2. Warum müssen Zivildienstleistende länger dienen (13 Monate)? Und warum werden junge Frauen überhaupt nicht „erfaßt“ (abgesehen davon, daß ich ihnen Zwang und Unterdrückung beileibe nicht wünsche!)? Ein Hohn auf Demokratie und Gerechtigkeit.

3. Erarbeitung von Perspektiven und klaren Konzepten für einen „freiwilligen ökologischen Friedensdienst“. Deutschland muß zu einer Macht des Friedens in der Mitte Europas werden.

4. „Ich bete an die Macht der Liebe“. Schöner Choral auf dem Großen Zapfenstreich!

Wie wäre es mit einem Amnestiegesetz für alle Totalverweigerer anläßlich des 40jährigen Bestehens der Bundeswehr, meine Damen und Herren Parlamentarier, anstatt ein neues Diätengesetz vorzubereiten? [...] Gert Schneider, Berlin

[...] Die Bundeswehr demonstrierte ihre neue Stärke und zog zum Tage der deutschen Wiedervereinigung in Erfurt ihren Großen Zapfenstreich ab, jetzt zapfte sie zu ihrem eigenen Geburtstag auf dem Bonner Hofgarten und zeigte an ehedem „entweihter Stätte“ auf, was nun wieder deutschen Geistes ist. Die Sinnfrage, die vor einigen Jahren noch das Heer bewegte, haben die Militärs recht simpel mit dem Ziel beantwortet, des wieder großen Deutschlands gewichtige Rolle in der Welt auch militärisch zu beweisen. [...]

Keiner fragt mehr nach der Existenzberechtigung der Nato, die doch eigentlich mit dem Tode ihres Widersachers Warschauer Pakt überflüssig geworden ist. Und alle rufen nach Streitkräften, die totsicher Frieden schaffen würden; Konzepte, friedlich Frieden zu erreichen, wurden nie ernsthaft durchgesetzt und durchgeführt, damit sie scheitern mußten und nun als unwirksam abgetan werden können. Statt dessen: Deutschland, mit Helm auf und Gebet in neue Kriege!

Und Tradition? Siehe Zapfenstreich aus Preußens Gloria-Zeiten! Wir „anderen Deutschen“ sehen zu, wie „mächtig in ihr altes Bette strömen die Militarismus- Wogen“ ... Oder schaffen wir „eine neue Mehrheit“ (auch auf dem Bonner Hofgarten)? Rolf P. Prost, Aachen

Der Zapfenstreich ist ein verstaubtes Relikt aus einer Zeit, als Demokratie durch Militarismus ersetzt wurde und die Sprößlinge der Adeligen und der Weizenbarone ohne jede Befähigung, nur aufgrund ihrer Abstammung in den Offiziersstand erhoben wurden. Das Beharren auf diesem optischen und akustischen Spektakel entspricht dem Selbstverständnis der konservativen Kleingeister, die derart von einer Zeit träumen, als die Herrschenden sich noch nicht mit Oppositionsparteien, Gewerkschaften und einer freien Presse rumärgern mußten. Horst Grzywaczewski, Iserlohn