Russische Liberale wieder im Rennen

Oberstes Gericht ordnet Zulassung von Jabloko zu den Wahlen an. Eins haben die Verhandlungen gezeigt: In der Partei regiert das Chaos  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Rußlands Oberstes Gericht revidierte am Wochenende die Entscheidung der Zentralen Wahlkommission, die aussichtsreiche liberale Gruppierung „Jabloko“ von den Dumawahlen am 17. Dezember auszuschließen. Das Gericht wies die Kommission an, „Jabloko“ im Laufe der nächsten drei Tage zu registrieren. Der Bann durch die Kommission hatte reichhaltigen Spekulationen Auftrieb verliehen, einflußreiche Kräfte im Umkreis des Präsidenten wollten damit eine Verschiebung der Wahlen erzwingen. Nach letzten Meinungsumfragen liegen die Kommunisten in der Wählergunst an der Spitze. Etwas vorsichtigere Interpretationen mutmaßten, die Kommission habe einen Versuchsballon gestartet, um die Öffentlichkeit auf die Probe zu stellen. Sollte das tatsächlich beabsichtigt gewesen sein, können sich die Initiatoren heute ein klares Bild machen. Einhellig von rechts bis links wurde der Ausschluß kritisiert, die öffentliche Meinung hat sich als außerordentlich wachsam und empfindlich erwiesen. Das Oberste Gericht hob den Entscheid der Kommission zwar auf, lieferte aber keine Begründung für ihr Urteil. Kurz vor dem Spruch des Gerichts sagte die Vertreterin der Anklage, Ludmilla Abramjan: „Die Kommission darf nicht das Gesetz interpretieren, sie soll sich daran halten.“ Ihre Aufgabe sei die Registrierung der Parteien und nicht etwa eine gesetzgebende. Die Anklage verlangte auch, daß Präsident Jelzin und das Parlament von den Übertretungen der Kommission informiert werden. Allerdings wurden diese nicht weiter benannt. Der politische Kopf „Jablokos“, Grigorij Jawlinski, kommentierte das Urteil erleichtert: „Es gibt noch Hoffnungen auf Demokratie in Rußland.“ Die Gerichtsentscheidung habe gezeigt, die Kommission sei keine politisch neutrale Organisation. Er wollte auch nicht ausschließen, daß „eine Bedrohung weiterhin besteht. Eine Menge Probleme warten noch.“

Am 11. Oktober hatte der Vorsitzende der Wahlkommission Nikolai Rjabow die Duma bereits gewarnt. Im Falle einer Revision durch das Oberste Gericht habe die Kommission immer noch die Möglichkeit, die eingereichten Parteilisten anzuzweifeln. Es bleibt abzuwarten, ob Rjabow seine Drohung wahr macht. Denn trotz aller Spekulationen um dunkle Manchenschaften und Wahlmanipulation scheinen die Motive der Ablehnung wesentlich banaler zu sein. In der Tat hatte Jabloko in mehreren Punkten die Anforderungen wie im Wahlgesetz verlangt, nicht erfüllt. Hinweise aus den Reihen der Kommission, die Auflagen einzuhalten und im nachhinein zu korrigieren, waren von den Verantwortlichen in der Parteispitze ignoriert worden. Selbst im demokratischen Lager wird gemunkelt, die Selbstherrlichkeit des Vorsitzenden habe dieses Chaos mit verschuldet. Die Verhandlungen vor dem Gericht belegten, wie desorganisiert der gesamte Apparat der Partei Jawlinskijs ist, die sich anschickt die Führungsrolle im liberaldemokratischen Lager zu übernehmen. Trotz Warnungen seitens der Kommission war die Partei nicht in der Lage, die erforderlichen Dokumente ihrer Abgeordneten rechtzeitig nach Moskau zu schaffen. Selbst Ausreden, per Fax gesandte Unterlagen seien verschütt gegangen, wurden zur Verteidigung vorgebracht. Das hinterläßt einen schlechten Eindruck: Entweder ist die Partei administrativ überfordert, oder ihre Führungselite glaubt, aufgrund des relativen Rückhalts in der Wählerschaft nicht an bürokratische Prozeduren gebunden zu sein. Doch dieser Aspekt spielte in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Das Verbot wurde sofort ideologisiert. Schon jetzt kündigte Jawlinski auch seine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen an.